"Wie man anständig Pétanque spielt"

- Meine persönlichen Gedanken zu einem Zeitungsartikel -


Vor einiger Zeit erschien im Magazin der NZZ ein Artikel mit dem Titel: „Wie man anständig Pétanque spielt.“[1] Autor Konstantin Arnold beschreibt darin, wie er das Spiel in Südfrankreich für sich entdeckte und was es ihm bedeutet. Es begegnete ihm in einer Schar älterer Männer, die „ihr ganzes Sein“ in eine „bedeutungslose“ Tätigkeit legten – das Werfen von Kugeln. Bedeutungslos aber nicht sinnlos, denn im tiefen Ernst, bei allem gelebten lais­sez faire, mit dem die Herren ihrer Passion nachgingen, lag eine verlockende Schönheit. Man spielte an zentralem Ort, nicht irgendwo auf Parkplätzen oder hinter Hecken; die sozialen Schichten bunt gemischt. Man spielte nach dem Essen bei einem Glas Wein im Schatten der Bäume. Kulturvoll war dieses Spiel, betrieben nicht, um etwas zu erreichen, nicht, um irgendwo hinzukommen, man spielte vielmehr, weil es das Selbstverständlichste von der Welt war, der natürlichste Ausdruck des Seins.

Mich hat dieser Artikel sehr bewegt, denn auf durchaus ähnliche Weise habe auch ich einst das Spiel kennengelernt und eben so hat es sich als Ideal tief in mir verwurzelt. Ich hatte zuvor andere Sportarten betrieben, doch mit den Kugeln ist es etwas Besonderes: Griff ich einst zu Trikot oder Radhelm, war es stets wie eine Verkleidung gewesen. Für begrenzte Zeit wurde ich ein anderer – das Sportdress, ein Kostüm. Zum Pétanque aber erscheint man in Alltagskleidung, die schon bald nach der Maßgabe ausgewählt wird, das Werfen nicht unnötig zu hindern. Ebenso wie mit dem Äußeren geschieht es bald dem Menschen in seinem Kern – widerfährt es der Seele: Man wird zum Spieler durch und durch. Es wird eine Lebensweise, eine Einstellung; wird eine Kultur, die das ganze persönliche Sein durchdringt. Darum geht man wie selbstverständlich am Wochenende nach dem Essen zum Bouleplatz, wo die anderen schon warten. Daher dieses ungute Gefühl, wenn den Termin zu säumen man gezwungen ist. Daher dieser spezielle Blick auf jede unversiegelte Fläche: Wie es sich wohl darauf spielen mag? Zum Pétanque gehst du nicht im Kostüm, vielmehr legst du es ab. Bald schon spielst du als der, der du wirklich bist.

Gewiss, es gibt den Kugelsport auch in anderem Gewand: die Jagd nach Punkten und Medaillen, die weiten Anreisen und langen Turniertage, die Regelfragen, Trikots und den Dresscode. Plötzlich geht es um etwas, plötzlich will man irgendwo hin, muss etwas erreichen. Die darwinsche Mechanik läuft an, denn immer ist man irgendwie und irgendwo vom Ausscheiden bedroht, spielt sich vielleicht gerade jetzt, mit dieser Kugel, aus dem Turnier oder aus der Mannschaft - Survival of the fittest. Vielleicht ist das eingangs beschriebene Spielen – das edle Spiel, wie ich es hier nennen will - deshalb so kultiviert, weil es den Überlebensinstinkt dämpft. Gleich, was auch geschieht, man ist in seiner Spielerexistenz gerechtfertigt. Aus einer solchen Gruppe spielst du dich nicht hinaus. Das hat eine aristokratische Anmutung; das gibt Raum für Civilität; das kommt daher ohne Hektik und Gebell. Ein edles Spielen, fürwahr - aber auch ein interessantes?

Reinhold Messner beschreibt seine Triumphe als objektiv völlig nutzlos. Sinnvoll sind sie ihm gleichwohl, eben, weil die Sinnhaftigkeit eines Tuns allein aus dem Inneren kommen muss. Die Jagd nach greifbarem Erfolg führt leicht auf Abwege. Den Sinn legt der Mensch selbst einer Sache bei, in souveräner Entscheidung. Was solcherart mit Herz getan wird, ist meist auch wohlgetan. Es hat nichts gemein mit belanglosem Gemurmel, für das man es halten mag. Ein Mensch, seiner Passion folgend, spielt engagiert, denn alles geschieht einzig und allein um seinetwillen. Eben das hält sein Bemühen immer auch im rechten Maß. Niemandem schuldet er etwas, denn sich selbst. Bedarf es da der Prämien und Pokale? Du kannst Pétanque spielen wie andere ein Musikinstrument. Auch wenn Du niemals auftreten willst, habe einfach Freude daran, Dich immerfort zu verbessern!

Freilich, Wettkampf um große Ziele fördert das Niveau, lässt Anstrengung über Gedeihlichkeit siegen, setzt Reserven frei, bringt Gegner zuhauf, fähig, den Kugeln erfolgreicher zu gebieten, als man selbst es vermag. Der Spieler wächst an der Herausforderung und die Flut hebt alle Boote. Manchem tut das gut, nicht in jedem jedoch bringt es das Beste hervor. Welcher der Welten soll man angehören? 

Das Spielerleben, gewöhnlich zeigt es eine Zwiegestalt. Dem Boulomanen, gezwungen, wöchentlich an vielen Tagen seiner Lust zu frönen, ihm reichen nicht Turnier- noch Trainingstag. So sucht er Gleichgesinnte aufzuspüren, die ebenso wie er, den Kugeln nimmer Ruhe gönnen mögen. So trifft man sich zum freien -edlen- Spiel und misst die Kräfte, für und für. Und eben dann gibt man dem Ursprung dieses Kugelsportes Mal um Mal die Ehre. Freies Spiel und Wettkampfsport, untrennbar sind sie verschmolzen; eine Legierung, mal mehr mal weniger von jedem Element enthaltend. Zwei Seiten einer Münze, die eine nicht denkbar ohne ihren Widerpart.

Marianne - etwa seit 1792 eine Allegorie der Freiheit und gleichzeitig Französische Nationalfigur.
Marianne - etwa seit 1792 eine Allegorie der Freiheit und gleichzeitig Französische Nationalfigur.

Und doch ist diesem nur gedachten Gelde auf einer Seite das Bild der Freiheit eingeprägt. Ich wünschte, es käme häufig obenauf zu liegen und wäre dann geschätzt, als das, was es in Wahrheit ist, das edle, freie Spiel, die Wurzel, aus der alles Weitere sprosst; das Alpha und das Omega unseres Sports. Es ist nicht Vorspeise zum eigentlichen Gang, es ist das Hauptgericht. Es lebt in der Gemeinschaft, im einander Wohlwollen, im Brennen für die Sache, in Empathie und Engagement, im Anerkennen und Gönnen, im Zuschauen und ehrlichem Bewundern, in Spielfreude und Trunk mit Gegner und Partner, es lebt in unendlichem Streben nach Mehrung von Kunst und Leichtigkeit ...Leichtigkeit vor allem - und in allem.

 

Konstantin Arnold schrieb in seinem Artikel: „Man kann die Leute nicht vom Glück überzeugen, wenn sie es nicht selbst in sich tragen. Man kann es nur vorleben und warten und hoffen, dass es sich entfacht. Alles andere ist Zeitverschwendung.“ -

 

Pétanque ist eines der schönsten dummen Dinge der Welt.“

 

Thorsten


[1] Am 13.04.2023 erschien im Magazin der NZZ besagter Artikel, der mich zu meinen Überlegungen anregte. Er ist leider nicht frei zugänglich, weshalb ich erst gezögert hatte, ihn hier zu besprechen. Er enthält jedoch - wie ich finde - wunderbare Einsichten über unseren Sport und es lohnt sich gewiss, ihn zu lesen: https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/nzz-am-sonntag-magazin/wie-man-petanque-wie-ein-profi-spielt-ld.1733730?reduced=true

Die im Text als Zitate kenntlich gemachten Sätze, sind dem Artikel entnommen.


Bild, Münze: OpenClipart-Vectors auf Pixabay