Krisenbewältigung


Wenn beim Boule unsere Punkte regelmäßig auf mysteriöse Weise verschwinden, wie Schiffe im Bermudadreieck; wenn Gegner den Champagner bereits entkorken, nachdem sie uns zugelost bekommen haben; wenn Turniererfolge so wahrscheinlich sind, wie Begegnungen mit Nessi oder dem Yeti, dann ist es an der Zeit, zu handeln.

 

Wer nun an hartes Training denkt, etwa Pétanque im Kühlhaus zwischen Schweinehälften à la Rocky", oder die aus Kung-Fu-Filmen bekannte, harte Schule bei einem weisen Meister, irgendwo in der Abgeschiedenheit („Leidel wiedel dulch!“), der übersieht, welch Arsenal die Krisendiplomatie bei misslichen Lagen und Katastrophen bereithält. Bedienen wir uns zur Bewältigung unserer Misere doch einfach im Fundus hochrangiger Gipfeltreffen; nutzen wir einige Pfeile aus dem Köcher der Diplomaten und sehen, wie sich die stets bewährten Maßnahmen internationaler Kongresse für unsere Pétanqueprobleme nutzen lassen:

Maßnahme 1 – Augen verschließen: Sie spielen mit dem Geschick eines holzhackenden Waldtrolls und ernten schlimmere Klatschen als der HSV im Abstiegskampf? Ihre Erfolglosigkeit ist auf einigen Bouleplätzen bereits sprichwörtlich geworden und ihr Name weithin ein Synonym für Niederlagen? Was soll's? Alles nicht so schlimm, solange sie keinerlei Notiz davon nehmen. Es ist eine hohe Kunst – wenn nicht eine Gabe – Missstände einfach ignorieren zu können. Die Meister darin vergessen ein Spiel in dem Moment, da die letzte Kugel gerollt ist. Niederlagen fallen sogleich der professionellen Amnesie anheim, die den Seelenfrieden erhält. 

Maßnahme 2 – Schönreden: Ein Desaster zu erleben, ist das eine; es zu beschreiben, etwas ganz anderes. Wohl dem, der davon mit Silberzungen zu künden vermag. Kein Übel, das nicht durch tünchen und frisieren aufzuhübschen wäre. Zur Verbrämung bieten sich an: Verweis auf außerordentliches Pech („Ziehen die mit der Letzten noch die Sau für fünf“ - es stand freilich schon 1:8). Ungunst der Umstände („Der Boden ist für mich viel zu leicht“). Den Gegner starkreden (Allesamt Halbgötter oder zumindest Halbfranzosen"). Einen ansteigenden Trend ausmachen („Letztens haben wir gegen die noch zu null verloren"). Wenn wegschauen unmöglich ist, so schalte man zumindest das allergünstigste Licht ein.

Maßnahme 3 – Hoffen und Beten (für Agnostiker: Abwarten und Tee trinken): Wer mit Beharrlichkeit zum Ziel kommen möchte, braucht eine Geduld, die auf der Skala irgendwo zwischen sedierter Auster und meditierendem Stein zu suchen ist. Man sagt: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Obwohl von Einstein[1] so niemals behauptet, bedarf dieser Satz dringend der Relativierung. Ganz klar hat, wer warten kann, nämlich die Mathematik auf seiner Seite, denn auch das unwahrscheinlichste Ereignis tritt statistisch gesehen, nach unendlich vielen Versuchen sicher ein.

Maßnahme 4 – Auf andere Zeigen: Pétanque ist ein Mannschaftssport und darin liegt DIE Möglichkeit schlechthin, eigenes Unvermögen zu kaschieren. Spielt man selbst auch mit dem Feingefühl ausgestopfter See-Elefanten, so sind es doch die anderen, die nicht gut genug legen, dass man noch schießen könnte, und nicht gut genug schießen, noch Punkte zu legen. Des Boulers wichtigster Körperteil sind die Zeigefinger, von denen er idealerweise fünf an einer Hand besitzt. Zwei, um auf beide Mitspieler zu weisen, deren Unvermögen des eigenen Könnens Entfaltung hemmt. Drei, um die Gegner als jene Schuldigen zu markieren, deren störendes Gebaren und unverdientes Glück den vollkommen absurden Spielausgang erst bewirkt haben. Die Mitspieler im Falle des Sieges als Fußnoten abzuhandeln, sie aber bei Niederlagen zur Schlagzeile zu machen, ist Grundlage jeder fundierten Spielanalyse.

Maßnahme 5 – Ankündigungen verbreiten: Sie bemerken, dass ihre Mitspieler Tränen in den Augen haben, wenn sie den Bouleplatz betreten, hegen aber den Verdacht, es werden dies keine Freudentränen sein? Ihr Boueltrainer konnte nur unter großen Mühen davon abgehalten werden, seine Kugeln und dann sich selbst zum Zwecke der Selbstentleibung im nahen Fluss zu versenken? Beim Mischen vor Spielbeginn sind sie häufig der Einzige, der seine Kugeln auswirft? Dann, ja spätestens dann ist es an der Zeit, Besserung zu geloben, wobei glücklicherweise die Bekundung des guten Willens vollkommen ausreicht. Kündigen sie Reformen an, verkünden sie Maßnahmenpläne, ersinnen sie Agenden – je bombastischer, desto besser. Sie müssen nicht fürchten, an ihren Worten gemessen zu werden, denn im Grunde ist doch jedem klar: „Der schwierigste Weg, den der Mensch zurückzulegen hat, ist der zwischen Vorsatz und Ausführung"[2]. Warum ihn also beschreiten? Von Worten zu Werken ists wahrlich weit. Gern wird man daher ihren guten Vorsätzen lauschen, diese gutheißen und sie gottlob schnell wieder vergessen.

Endlich gefunden: Der Schlüssel zum Erfolg
Endlich gefunden: Der Schlüssel zum Erfolg

 

Nicht immer nur das Haar in der Suppe suchen, auch mal das Positive herausstellen, optimistisch in die Zukunft blicken, die anderen mit einbeziehen, gute Ideen verkünden – was soll da eigentlich noch schiefgehen?  

 

Thorsten


[2] Wilhelm Raabe (1831 - 1910)


Bild - Gestühl: Von Susanne Dicke auf Pixabay  

Bild - Schlüssel: Von Marc Pascual auf Pixabay