Wuhling*


 31. Juli 2023

Das Holstenturnier zu Travemünde steht in den Startlöchern und bringt eine Neuerung, geeignet, die Boulegemeinde so tief zu erschüttern, wie es seit Einführung der Plastikkreise nicht mehr geschehen ist. Die Paarungen sollen künftig per „Web-App“ den Spielern aufs Smartphone gesendet werden.[1] Damit ist eines der prägendsten Elemente klassischer Bouleturniere akut vom Aussterben bedroht: Das Gewühl bei der Bekanntgabe der Spielpaarungen. Traditionell erfolgt diese Verlautbarung nämlich an der engsten Stelle, die sich dafür finden lässt, also im Gang zur „Umkleide“ oder in dem kleinen Holzbüdchen, das jedes Boulodrome ziert. Wichtig ist es – und es bedarf hierzu einiger Erfahrung – die Stelle wirklich so zu wählen, dass allenfalls zwei Akteure gleichzeitig die ausgehängten Zettel in Augenschein nehmen können. Das sich hierdurch unvermeidlich entwickelnde Gedränge ist ein Gemeinschaftserlebnis, wie es seinesgleichen nur selten findet. Das Aroma aus Adrenalin, Schweiß und Antrittsbierchen; die aufsteigende Hektik; das wilde Durcheinanderbrüllen von Zahlen und Namen - als sei man an der Börse; die glücklichen Gesichter jener, die vermeintlich ihre Spielpaarung erspäht haben, ihr vorübergehendes Entschwinden und die unvermeidliche Rückkehr: „War es jetzt Team 14 auf Platz 3 oder Team 3 auf Platz 14?“ - wer möchte das wirklich missen? Es gehört zum Pétanque wie Lappen und Cochonnet.

 

Wo unglücklicherweise die Weitläufigkeit des Geländes es eigentlich nicht gestattet, ein Spielerknäuel zu erzeugen, behilft man sich notgedrungen mit dem Ausdruck der Zettel in einer Schriftgröße nicht über 10 dpi. Wahre Traditionalisten hängen die solcherweise in Mikroschrift gehaltenen Zettel noch hinter die Fensterscheiben besagter Boule-Büdchen, wo Spiegelungen es den Kugeljüngern zusätzlich erschweren, den Ort ihres kommenden Triumpfes zweifelsfrei auszumachen.

 

Gewiss, es gibt jene misanthropischen Turnierleitungen, die geradezu fürchten, dass sich das Boulevolk zusammenrotte - „Teile und herrsche!“ Jegliches Gewühle trachten sie durch Vorlesen der Paarungen bereits im Ansatz zu ersticken. Doch schlägt solchem Ansinnen seitens der Boulistenschaft eiserner Widerstand entgegen: Angeregtes Parlieren während der Bekanntgabe und energisches Nachfragen, wenn der Vortragende bereits einige Paarungen weiter vorgerückt ist, wirken hier Wunder und erzeugen das allerschönste Chaos.

 

Bitte, liebe Lübecker, überdenkt, was ihr tut. Rettet die Tradition! Oder ist das alles vielleicht nur ein Missverständnis und soll das beliebte Getümmel nur modernisiert werden? Vielleicht führen ja Bedienschwierigkeiten und Softwarefehler alle wieder dorthin, wo es beim Turnier am schönsten ist: Lang lebe das Gewusel am Zettelaushang!

 

Thorsten

 

 

[1] Die folgende Erklärung habe ich der Seite "Ptank" entnommen: "Wir möchten in den kommenden Jahren etwas digitaler werden und starten dieses Jahr mit dem Testlauf einer Turnier-App, die die Aushänge vor Ort ergänzen soll", schreibt der CdB-Lübeck-Vorsitzende Matthias Rehberg. Wichtig: Auch wenn über die WebApp » alle möglichen Turnier-Infos an die Teilnehmer-Smartphones ausgespielt werden: Im Zweifel gilt 2023 noch, was auf den papiernen Aushängen an der Bühne steht."

 

* Der Begriff Wuling (auch: Wuhling) ist die seemännische Bezeichnung für durcheinandergeratenes oder schlecht aufgerolltes Tauwerk.

 

Bild: C. Fred Alford auf Pixabay