Rechtfertigungen


Sich nicht unnötig einengen
Sich nicht unnötig einengen
Dem Autoren und Essayisten Elbert Green Hubbard wird der Satz zugeschrieben: „Gib keine Erklärungen ab – deine Freunde benötigen sie nicht und deine Feinde werden ihnen ohnehin keinen Glauben schenken. („Never explain — your friends do not need it and your enemies will not believe you anyhow.“). Je länger ich mich nun schon mit dem Pétanquespiel beschäftige, desto mehr drängt sich mir die Bedeutung auf, die Autonomie im Handeln und die Übernahme von Verantwortung für das Gelingen des Spiels besitzen; desto klarer tritt mir vor Augen, dass zwei Verhaltensweisen dem entgegenwirken: der Drang, sich zu Rechtfertigen und die Neigung, Rechenschaft einzufordern. 

Beim Boulespiel messen wir uns zwar mit unseren Gegnern und sind meist auch Teil einer Mannschaft, doch ist es ein Spezifikum, dass wir in den entscheidenden Momenten allein handeln – einsam stehen wir im Wurfkreis, nicht gehindert von des Gegners Hand; nicht gestützt von unseren Partnern. Für einen kurzen Augenblick sind wir auf uns selbst zurückgeworfen und es wäre eine große Torheit, diese Herausforderung nicht so anzunehmen, wie sie konzipiert ist. Der Wurfkreis ist bewusst so eng bemessen, dass nur ein Spieler ihn auszufüllen vermag. Der Versuch, noch weitere Akteure hineinzubitten, raubt uns Handlungsraum.

Das geschieht regelmäßig, wenn Spieler – meist nach misslungenen Aktionen – meinen, sich rechtfertigen zu müssen, sei es, dass sie von Freund oder Gegner dazu aufgefordert wurden, sei es, dass sie aus eigenem Antrieb anderen Einblick in ihre Überlegungen gewähren. Nicht selten jedoch gerinnen solche Darlegungen zu reinen Ausreden, von denen ich sagen kann, dass mir in vielen Jahren niemand begegnet ist, der begierig war, sie zu hören. Immer aber begründen sie eine Anschauung, die eine bedenkliche Schieflage aufweist, denn der Versuch, eine nachträgliche Zustimmung in einer Angelegenheit zu erlangen, die allein einem selbst obliegt, zeugt nicht nur von Schwäche, sie zeugt auch Schwäche.
Ein Spieler, der sich vor anderen rechtfertigt, gewährt diesen Menschen auch künftig Einfluss auf eigenes Handeln, der diesen kaum zukommt. Er bekundet gleichsam, dass es ihm auch um die Anerkennung dieser Personen geht. Die Konsequenz daraus ist immer ein Verlust von Handlungsautonomie, denn fortan wird Erfolg nicht allein bei den Kugeln gesucht, sondern ebenso in der Meinung der Mitspieler – die es zu bearbeiten gilt. So wird unnötigerweise ein Abhängigkeitsverhältnis begründet. Meinungen zu berücksichtigen lädt eine zusätzliche Last auf die Schultern, geeignet, das Handeln zu hemmen.

Über Wohl und Wehe im Spiel entscheidet jedoch einzig das Vermögen, im entscheidenden Moment frei und selbstgewiss zu agieren. Erfolg und Ansehen lassen sich niemals nachträglich herbeireden. Sie offenbaren sich unvermittelt. Mit jeder verlorenen Silbe fliehen sie den Ort des Geschehens nur desto schneller. Im Pétanque ist Konzentration ein knappes Gut. Sträflich ist es, Zeit und Aufmerksamkeit mit Erklärungen und Rechtfertigungen zu verschwenden, denn in der Tat ist es so: Wohlwollende haben hierfür keinen Bedarf, den Übrigen sind sie gleichgültig. 

Ruhig bleiben und Kurs halten
Ruhig bleiben und Kurs halten

In unübertroffener Prägnanz kommt dieser Zusammenhang in der Redewendung „Nerver complain, nerver explain“ (Niemals klagen, niemals erklären) des britischen Premierministers Benjamin Disraeli zum Ausdruck.[1] Weder wird Klage geführt und damit Aufklärung eingefordert, noch es für notwendig erachtet, sich selbst zu erklären. So bleibt das übrig, was einzig Erfolg verspricht: Verantwortung zu übernehmen und entschlossen zu handeln. In der Gewissheit, stets das Bestmögliche zu versuchen, und im Vertrauen darauf, die anderen werden es ebenso halten, bedarf es der Worte nicht. Wahrlich, das ist die Weise, in der sich alles am besten fügt.

Thorsten


Ergänzung 1: Selbstverständlich können und sollen Spieler nicht wie versteinert, ohne Bezug zueinander agieren, doch reicht es häufig, den Gegner mit einer der prägnanten Floskeln zu bedenken, derer sich das Boule in so reichhaltiger Weise erfreut. Innerhalb der Mannschaft jedoch gilt: Was immer gesprochen wird, während der Partie sollte es keine Rechtfertigung geben. Nach der Partie möglichst auch nicht. Man mag aus einer empfundenen Notwendigkeit, sich derart einzulassen, den Schluss ziehen, dass jene Tiefe des Einvernehmens, die ein wirkliches Team auszeichnet, zwischen den Beteiligten noch nicht gefunden wurde.


Ergänzung 2: In diesem Text ging es um Aspekte der Kommunikation mit anderen Personen. Leicht übersehen wird hingegen, dass wir im Spiel auch stets eine Kommunikation mit uns selbst führen. Dieser eine positive Wendung zu geben, ist essentiell für den Erfolg in der Partie. Das Positive anstelle des Negativen in den Fokus zu nehmen ist darüber hinaus eine Grundsatzentscheidung von fundamentaler Bedeutung. Goethe äußerte sich einmal über Lord Byron, den er als Poeten sehr verehrte, dessen angebliche Neigung, sich zu sehr mit dem Unguten zu befassen, er jedoch missbilligte: " … und das Negative ist nichts. Wenn ich das Schlechte schlecht nenne, was ist da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute schlecht, so ist viel geschadet. Wer recht wirken will, muß nie schelten, sich um das Verkehrte gar nicht bekümmern, sondern nur immer das Gute tun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingerissen, sondern daß etwas aufgebaut werde, woran die Menschheit reine Freude empfinde.« (aus: Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens - Band 1)

 

Wie einem solches im Umgang mit sich selbst gelingen mag, damit befasst sich der Artikel: "Selbstgespräche".


[1] Der Ausspruch geht auf den britischen Premierminister Benjamin Disraeli zurück, der damit jene spezifische Geisteshaltung illustrierte, die als „Stiff upper lip“ bekannt ist. Besonders den Briten zugeschrieben, hatte sie in der viktorianischen Epoche eine große Bedeutung. Einer Gefahr oder einer Zumutung äußerlich unbewegt, also mit steifer — nicht zitternder  Oberlippe zu begegnen, und den für richtig gehaltenen Kurs unbeirrt und in Pflichterfüllung fortzusetzen, ist Ausdruck von Stoizismus. Epiktet, einer der prominentesten Vertreter dieser philosophischen Richtung, der wir im Boulelexikon den einen oder anderen Ratschlag verdanken, äußerte: „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“


Dieser Text findet im Boulelexikon seine Ergänzung in den Beiträgen: "Die Anderen" sowie "Konventionelle Höflichkeit".


Bilder:

Gockel: von Daniel Kirsch auf Pixabay 

Brücke: von Rudy and Peter Skitterians auf Pixabay