Fairness


In unseren besseren Momenten streben wir doch irgendwie alle danach: Wir wollen uns im Spiel anständig und ehrlich verhalten; den Spielregeln entsprechen; ehrenhaft fechten. Ebenso erwarten wir das von Kontrahenten und Mitspielern und kennen natürlich unzählige Geschichten, in denen diese, in blinder Anbetung des äußeren Erfolges, den Grundsätzen des „Fair Play“[1] nicht entsprochen haben.

 

Das englische Wort „fair“ bedeutet aber nicht nur "gerecht" oder "angemessen", es meint auch „schön“[2]. Wünschen wir uns das nicht alle, vor jeder Partie in einem ritualisierten Ausspruch? Ist das nicht das eigentliche Ziel, das wir erlangen wollen? Ein schönes Spiel?

 

 

Doch liegt Schönheit stets im Auge des Betrachters, wird individuell unterschiedlich empfunden. Was diesen stört, ist jenem lieb und teuer. Wie also gelangen wir zu angemessenem Verhalten? Wie üben wir uns in „Fair Play“? Wie schaffen wir uns schöne Spiele? Wie verbringen wir miteinander angenehme Stunden?

Stellen wir uns einmal zwei extreme Ausprägungsformen von Spielen vor:

 

- In einem Falle herrscht vollkommene Anarchie und Regellosigkeit. Jeder macht, was ihm gerade in den Sinn kommt, stört die Mitspieler, nimmt sich Vorteile heraus, die ihm nicht zustehen und gebärdet sich ganz und gar undiszipliniert. Die Hölle auf Erden also, ein Ort, den Spielkunst und Esprit schnellsten Schrittes fliehen werden.

 

- Im anderen Extrem herrscht ein strenges Regiment. Die Spieler lauern auf kleinste Übertretungen des Reglements, um diese sogleich anzuprangern und des Gegners vermeintlichen Vorteil flugs wieder einzukassieren. Gespielt wird quasi mit dem Regelheft unter dem Arm, der Bouleplatz, ein Exerzierplatz. Auch hier werden Leichtigkeit und Freude kaum aufsprossen.[3] 

Das Gute und Rechte muss demnach irgendwo in der Mitte zu finden sein. Wie so oft, so gilt auch hier der alte Philosophenspruch: „Nichts zu sehr!“[4] Richard von Weizsäcker äußerte einmal:

Verlangt ist nicht nur die formelle Beachtung von Regeln. Nie werden geschriebene Regeln die menschliche Haltung des ‚Fair Play‘ ersetzen können. Der Sportler, der das Fair Play beachtet, handelt nicht nach dem Buchstaben, er handelt nach dem Geist der Regeln“.[5]

Was eigentlich wird mit den Spielregeln erstrebt? Ein Kampf bis aufs Messer? Ein Sieg um jeden Preis? Ein Ringen mit allen Mitteln? Doch sicher nicht! Oberstes Ziel sportlichen Handelns ist es doch – oder sollte es zumindest sein – miteinander eine angenehme Zeit zu verbringen; sich gemeinsam mit Gleichgesinnten der Vervollkommnung eigener Fähigkeiten zu widmen; in Gemeinschaft der Ausübung einer Kunst zu frönen; die Achtung der Mitspieler zu erlangen und diesen mit ebensolcher Achtung zu begegnen; sich nicht über diese zu erheben, sondern zu versuchen, sich selbst in die Mitspieler hineinzuversetzen; in Sieg wie in Niederlage maßvoll und beherrscht zu bleiben.

Dazu leisten Regeln mit Sicherheit ihren wichtigen Beitrag, bedürfen jedoch einer Ergänzung in Form eines „ethischen Kompasses“: Zu der rein formellen Einhaltung von Regeln treten somit informelle Ansprüche an die Spieler, die eine ethische Grundhaltung voraussetzen. Sie zielen darauf ab, im Wettkampf für Chancengleichheit zu sorgen, den Gegner als Kameraden zu achten und ihn nicht mit allen Mitteln wie einen Feind zu bekämpfen, ehrlich und anständig zu agieren – mithin, ritterlich zu handeln, wie wahre Gentlemen.

 

Beispiele:

Vermessen / verrechnet: Man bemerkt, dass der Gegner sich zu seinen Ungunsten vermessen oder verrechnet hat. Es wäre ein Leichtes, durch Nichthandeln diesen Vorteil einzustreichen, was möglicherweise den formellen Sieg in der Partie zur Folge hätte - bei jedoch gleichzeitiger moralischer Niederlage. Mag sich der Gegner auch über die Situation im Irrtum befinden, uns ist sie nur zu klar. Stellen wir sie nicht richtig, tun wir das aus Schwäche, in dem Bewusstsein, anders möglicherweise nicht siegen zu können.

Sind wir deshalb in diesem ideellen sportlichen Wettkampf angetreten? Um uns selbst unsere Unterlegenheit einzugestehen? Doch wohl kaum! Wir sollten uns nicht auf diese Weise um das gute Gefühl bringen, im Falle des Sieges wirklich die Besseren gewesen zu sein.

Ungültiger Sauwurf: Man bemerkt, dass der Gegner das Cochonnet in einer nicht erlaubten Distanz platziert hat. Um einen Vorteil zu gewinnen, nimmt man sich vor, diesen nur dann darauf hinzuweisen, wenn seine erste Kugel gut gespielt wird. Dieses Vorgehen ist, obgleich regelkonform, recht unschön. Sogleich fällt ein Schatten auf die Partie. Sie bekommt den Hautgout von Trickserei - ein Geschmäckle, wenn man so will. Dabei ist diese Situation sehr leicht zu umgehen, indem man seinen Zweifel dann anmeldet, sobald er aufkeimt. Das freilich setzt eine Umgehung des Reglements voraus, denn diesem zufolge hat sich die Mannschaft, die gerade nicht am Zuge ist, jeglicher Aktionen und Äußerungen zu enthalten. Mithin haben wir hier einen typischen Fall, wie dem Geist des Spiels dadurch am besten entsprochen wird, indem Regeln nicht zu eng ausgelegt werden.

Regeln sind ebenso notwendig, wie sie nicht in Stein gemeißelt sind. Ihre Einhaltung ist keinesfalls der Zweck des Spiels. Unter Gentlemen haben sie stets nur dienenden Charakter. Gehen wir von dem Leitgedanken aus, einander eine angenehme Zeit bereiten zu wollen, dann wird durch das Insistieren auf Regeln fast genau so viel Ungemach geboren wie durch deren Übertretung in die Welt kommt.

Es stellt sich also die Frage, wie man zu einer allenthalben gelebten, fairen Spielkultur gelangen kann.

Sollte man "Fair Play" einklagen?

Wer auf Gerechtigkeit baut, ohne Macht, erhält nur zu oft der Narren Lohn.[6] Wer dagegen über Machtmittel verfügt, sein Recht durchzusetzten, dem schwindet häufig beim Dissentieren jene innere Freude, die zu finden er ursprünglich angetreten war. Fast schon möchte man meinen, die wahre Kunst läge im Ignorieren von Übelnissen.[7] Dabei gilt es freilich, manch Kröte zu schlucken, ohne selbst dabei "krötig" zu werden.

 

Vielleicht ist es hilfreich, sich zu überlegen, ob denn der andere sein störendes Verhalten absichtlich zeigt; ob er von der Wirkung seines Tuns überhaupt Kenntnis hat; oder ob gar dieses Handeln nur bei uns selbst für Unmut sorgt, während die Mehrzahl der anderen es als durchaus tolerabel empfindet oder es gar in keiner Weise für ahndenswert hält. Vielleicht sind ja nur wir die Störquelle, indem wir uns mit unseren Gewohnheiten im falschen Umfeld betätigen. Vielleicht aber bedarf der eigentlich gutwillige Mitspieler nur des sanften Hinweises, weil ihm die Wirkung seines Verhaltens nicht bewusst ist. Denn nur in den seltensten Fällen haben Menschen überhaupt die Nerven, „sich dem aristokratischen Vergnügen hinzugeben, anderen zu missfallen“[8].

 

Nur in diesen gravierenderen Fällen mag sich überhaupt ein vehementes Erwidern lohnen - wenn überhaupt. Denn wie wahrscheinlich sind, nach aller Lebenserfahrung, Läuterung und Einsicht zu erwarten? Der Tatsache eingedenk, dass da immer Personen sein werden, für die gilt: „Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen..."[9], bleibt nur, „Fair Play“ zu leben und damit vorzuleben[10], in der Hoffnung, es werden Gleichgesinnte seinen Wert erkennen und sich anschließen. Mit Glück und Beharrlichkeit wächst so auf heimischem Grund eine Kultur der Fairness. Mit Kultiviertheit gedüngt erblühen Spiele, die wahrhaft schön sind.

 

 

Thorsten


[1] Es war reiner Zufall, dass just als ich einer heftigen Diskussion über unfaires Verhalten beigewohnt hatte, ich auf eine Stichwortsammlung zum Thema stieß: (https://petanque-bw.plesk2.navdev.de/wp-content/uploads/Allgemein/Fair-Play/BBPV-Fair-Play.pdf) An dieser habe ich mich grob orientiert, nur, um dann bald eigenen Gedanken nachzugehen.

[3] Anmerkung: Man sollte einmal in sich gehen, um sich zu fragen, ob tatsächlich weite Anfahrtswege zu einem Turnier auf sich genommen werden, nur um sich dann damit zu befassen, dass der Gegner mit seiner Fußspitze ein wenig den Kreis berührt. Der hierdurch erlangte Vorteil ist sicherlich nicht messbar, der Nachteil der Ablenkung durch Ärgern und Insistieren dürfte dagegen erheblich sein. Man kann solche Petitessen auch einfach auf sich beruhen lassen.

Zitiert nach: "Die Vorsokratiker, herausgegeben von W. Capelle, Kröner 1968

[6] Ich zitiere diesen Satz aus dem Gedächtnis, weil mir leider entfallen ist, woher er stammt. Es klingt ein wenig, als gehöre er zu den Sprüchen Salomons, wo ich ihn aber nicht aufzufinden vermag.  Zweifellos aber ist es wahr, dass reine Apelle eher mühevoll denn erfolgreich sind, weshalb sich die Frage stellt, ob die aufgewandten Kräfte nicht anderswo sinnvoller investiert worden wären. Auch ist es ja gerade das Ziel manch listiger Boulisten, ein Intervenieren zu provozieren, um mit dem Aufwallen der Emotionen ein Absinken der Konzentration einzuleiten.

[7] Eine Möglichkeit mit Störungen umzugehen ist, sich diesen bewusst zu stellen, sie als Teil der Herausforderung anzunehmen. Wie man etwa jemandem Rät, den das unvermeidliche Gewusel auf den Nachbarbahnen bei seinem Spiel stört, eben solche Situationen bewusst zu suchen, um sich abzuhärten; oder wie man die Empfehlung ausspricht, die hemmende Aufgeregtheit bei Wettbewerben dadurch einzudämmen, indem man sich ihnen so häufig stellt, bis aufkommende Gewohnheit der Nervosität die Zähne zieht. Genau so kann man störende Zeitgenossen auch als Teil der Situation begreifen, die eben auf dem jeweiligen Platz vorherrscht, wie steiniger Boden, Regenwetter und vieles mehr, das man nicht ändern kann. Allem diesen gilt es mit professioneller Haltung zu begegnen und zu versuchen, die Herausforderung souverän zu meistern und wo das nicht gelingt, so doch äußerlich und innerlich unbewegt zu bleiben. Hadern und klagen hilft bei aufkommenden Schwierigkeiten in den seltensten Fällen, vielmehr ist es ein Indiz für das Bewusstwerden einer aufkommenden Überforderung.

[8] "Es liegt etwas Berauschendes im schlechten Geschmack, nämlich das aristokratische Vergnügen, zu mißfallen." - Charles Baudelaire

[9] "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen, wenn es nicht aus der Seele dringt und mit urkräftigem Behagen die Herzen aller Hörer zwingt." - Goethe, Faust / 

[10] Vielleicht hier noch ein abschließendes Beispiel: In Artikel 6 der Pétanqueregeln ist zu lesen: "Wenn ein Spieler den Wurfkreis aufhebt, obwohl noch Kugeln zu spielen sind, wird dieser zurückgelegt, aber nur dem Gegner ist es gestattet, seine restlichen Kugeln zu spielen."

Mir würde es niemals in den Sinn kommen - Reglement hin oder her - dem Gegner im Falle eines irrtümlich aufgehobenen und markierten Wurfkreises das Spielen seiner Kugeln zu verwehren, denn dieses Malheur ist durch die zuvor erfolgte Markierung ja ohne Weiteres aus der Welt zu schaffen. Andererseits fiele es mir auch nicht im Traum ein, es einem Kontrahenten zu verargen, sollte er auf Einhaltung des strengen Reglements bestehen. "Fair Play" ist eher etwas, das man sich leistet oder gönnt, weil man eben geneigt ist, so zu handeln; oder weil man sich in der Souveränität ein wenig zu sonnen vermag, die davon abstrahlt. Dem Anderen Gleiches quasi aufzunötigen, sofern sein innerer Kompass anderen Himmelsrichtungen sich zuneigt, ist unschön. Besser, man nimmt dessen Entscheidung klaglos hin und fährt mit dem Spiele fort - gleichwohl hat man diese kleine Schwäche des Gegenüber durchaus bemerkt.


Bilder:

Feder: Christine Sponchia auf Pixabay  

Chaos: Jan Mallander auf Pixabay 

Ordnung: MonikaP auf Pixabay 

Wiese: Pixaline auf Pixabay