Atmung


"Der Atem ist das Pferd, der Gedanke der Reiter."
                                        Aus Tibet


Wenn wir beim Werfen einer Pétanquekugel nach körperlicher und geistiger Ruhe streben, haben wir einen unüberwindbaren Gegenspieler – unsere Atmung. Das ständige Pumpen der Lunge ist einerseits unerlässlich, um Muskeln und Hirn mit Sauerstoff zu versorgen und kann sich doch als Störquelle erweisen. In verwandten Präzisionssportarten, in denen mehr noch als beim Boule, Körperbewegungen auf ein Minimum reduziert werden – wie etwa Sportschießen, Bogenschießen oder Darts – gilt daher der Atmung eine besondere Aufmerksamkeit [1].

 

Warum aber sollte man sich um etwas kümmern, dass von allein und nahezu unbemerkt abläuft, ein Zustand, der für das Werfen erstrebt wird? Atmung ist ein Vorgang, mit dem wir die Ausgangsbedingungen des Wurfes in vielfältiger Weise günstig beeinflussen können: Wir dürfen hoffen, noch ein wenig stetiger zu werfen; den Wurf noch fokussierter und konzentrierter anzugehen; beim Werfen innerlich ruhiger zu bleiben; und dem Herannahen künftiger Aufregungen gelassener entgegenzusehen. Positive Effekte lassen sich erwarten, wenn einerseits Handeln und Atmen synchronisiert werden, andererseits die Art der Atmung verändert wird.

 

Synchronisation von Handlung und Atmung: Es ist vorteilhaft, Handlungsabläufe, die zwischen der Zielauffassung und dem Loslassen der Kugel geschehen, immer in der selben Weise zu vollziehen; die Bewegungen bilden eine festgelegte Sequenz und auch das Denken findet möglichst ritualisiert statt. In diese Phase, in der sich der Schütze seinem Ziel zuwendet – es visuell und geistig fokussiert – kann auch das Atmen mit einbezogen werden. In vielen Sportarten ist es üblich, die entscheidende Bewegung synchron mit dem Ausatmen zu vollziehen [2]. Beim Sportschießen ist der entscheidende Moment dann gekommen, wenn der Atem den Körper verlassen hat und jene kurze Pause eintritt, die dem erneuten Luftschöpfen vorausgeht.

 

Beides kommt auch für das Pétanque in Betracht und wird – konsequent umgesetzt – dazu führen, dass die Ausgangsbedingungen der einzelnen Würfe sich stärker einander angleichen. Zusätzlich wird das Betreiben der Synchronisation den Geist beschäftigen und damit einen positiven Effekt bewirken, den wir uns ebenso von den Wurfritualen erwarten – Zweifel und negative Gedanken sollen verdrängt werden [3]. Ungünstig wäre es hingegen, die Atmung unnatürlich lang anzuhalten und damit die bestehende Atemfrequenz ins Stottern zu bringen, denn es gilt, sich ein hohes Leistungsniveau über die lange Zeitspanne eines Pétanqueturnieres zu erhalten.

Anpassung der Atmung an die Umstände: Auf Belastungen reagiert der Körper üblicherweise mit einer Veränderung der Atmung – körperliche Anstrengungen lassen uns nach Luft ringen; schwierige und aufregende Situationen lassen uns flacher und schneller Atmen. Ebenso ist es möglich, Belastungen mit veränderter Atmung entgegenzutreten; wir können uns vor körperlichen Anstrengungen durch tiefe Atemzüge mit Sauerstoff "vollpumpen" und uns vor- und während Krisen durch tiefes Einatmen und erheblich langsameres Ausatmen aktiv beruhigen [4]. Dabei sind zwei Arten der Atmung zu unterscheiden:

 

Brustatmung: Jene Art der Atmung, die sich durch heben und senken des Brustkorbes bemerkbar macht, wird als Brustatmung bezeichnet. Auf Anstrengungen und Aufregungen reagiert der Körper mit einer Erhöhung der Atemfrequenz – also mit schnellerer Brustatmung. Es ist möglich, das Aktivitätsniveau durch bewusst schnelleres Atmen zu erhöhen. [5]

 

Bauchatmung: Das bewusste Einatmen in einer Weise, die eine spürbare Auswölbung des Bauches bewirkt, wird als Bauchatmung bezeichnet. Verbunden mit sehr tiefen Atemzügen und einer Verminderung der Atemfrequenz, hat sie eine beruhigende Wirkung – das Aktivitätsniveau kann so in Stresssituationen bewusst herabgesetzt werden. [6]

 

Auch wenn unsere Atmung üblicherweise eine Mischform aus Brust- und Bauchatmung ist, kann durch Betonung einer der beiden Arten der Spieler sich entweder aktivieren oder beruhigen.

Boule - Petanque / Tipps & Tricks
Unbesorgt - der eigenen Fähigkeiten bewusst

Souveränitätsgewinn durch die Möglichkeit der Atemsteuerung: Ein Pétanquespieler hat leicht das Empfinden, den Umständen hilflos ausgeliefert zu sein: Zufälle beeinflussen das Spiel; die Spielstärken von Mitspielern und Gegnern wirken sich aus; Millimeter entscheiden über Misslingen oder Gelingen eines Wurfes. Schnell entsteht so das Gefühl der Überforderung; der Körper reagiert mit Stress, der sich negativ auf das Leistungsvermögen auswirkt. Alleine das Wissen, über Möglichkeiten der Beruhigung zu verfügen – zu denen die Atemkontrolle zählt – kann die Stressreaktion eindämmen. Dieser Zusammenhang spielt im "Konzept der Selbstwirksamkeitserwartungen nach Bandura eine Rolle und konnte vielfach wissenschaftlich belegt werden [7]. Paradoxerweise führt also das Wissen, diesen speziellen Pfeil im Köcher zu haben, dazu, dass er nicht abgefeuert werden muss.

 

 

Auch Geringes kann den Ausschlag geben: Die römische Gewichtseinheit "Gran" entsprach - vom Gerstenkorn abgeleitet - etwa 47 mg
Auch Geringes kann den Ausschlag geben: Die römische Gewichtseinheit "Gran" entsprach - vom Gerstenkorn abgeleitet - etwa 47 mg

Die Atmung ist eines jener "Schräubchen" im Getriebe, die möglicherweise besser unangetastet bleiben. Im Wettbewerb kann allerdings auch eine nur geringe Verbesserung den Vorteil bedeuten, der schließlich über Sieg oder Niederlage entscheidet. Handeln und Atmen aufeinander abzustimmen oder den Odem bewusst zu verändern, mag dann zum Zünglein an der Waage werden. Zumindest legt aber die Gewissheit, alles Nötige unternehmen zu können, ein weiteres "Gran" auf die Waagschale, das – zusammen mit vielen anderen –, letztlich den Ausschlag zu unseren Gunsten bewirken sollte.

 

 

Thorsten


Ergänzung: In einem Artikel aus "Spektrum der Wissenschaft" wird eine einfache Atemmethode beschrieben, die helfen kann, das Erregungsniveau wieder auf Normalmaß zu bringen. Sie trägt den Namen: "Physiologisches Seufzen". Ihre Wirksamkeit wurde in einer wissenschaftlichen Studie bewiesen. Danach reicht es aus, zwei- bis dreimal doppelt einzuatmen, worauf jeweils ein langsames Ausatmen folgt. Nach einem starken Atemholen wird also vor dem Ausatmen erneut Luft geschöpft. Dann folgt ein Ausatmen, das möglichst länger währt als die Zeitspanne, die für das Atemholen aufgewendet wurde. Über körpereigene Rückkopplungsprozesse beruhigt sich so die Herzfrequenz und der Stresslevel sinkt. (Siehe: https://www.spektrum.de/news/mit-der-richtigen-atmung-und-weitem-blick-stress-abbauen/1813064)


[1] Als Beispiel für viele sei hier genannt: http://www.schuetzen-boergermoor.de/atmung.htm

[4] https://www.bisp-sportpsychologie.de/SpoPsy/DE/Infoportal/Sportpsychologische_Betreuung_im_Spitzensport/trainingstechniken/Atemtechniken.html?nn=3020220

 

Als Beispiel für eine solche Atemtechnik mittels derer eine Beruhigung erzielt werden soll, gebe ich an: http://www.dr-mueck.de/HM_Angst/HM_Angst_wegatmen.htm. Gemeinsam ist vielen dieser Techniken eine Bevorzugung der Bauchatmung vor der Brustatmung, eine Verminderung der Atemfrequenz, ein erheblich längeres Ausatmen als die Zeit für das Einatmen beträgt, sowie eine kurze Pause vor dem nächsten Luftschöpfen.

 

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Brustatmung

 

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Bauchatmung

 

[7] Siehe hierzu: https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=dirH49AC_eAC&oi=fnd&pg=PA28&dq=selbstwirksamkeit+bandura&ots=DLPOIM3t56&sig=IGbCgdbm7ahk_uEKDKEQcPi7MhE#v=onepage&q=selbstwirksamkeit%20bandura&f=false

sowie den Artikel: Selbstvertrauen I: Erwerben


Bild, Taucher: von Jakob Boman auf Pixabay

Bild, Gewichte: von Harald Landsrath auf Pixabay