Gerade und krumme Wege


"Primus inter Pares" zu sein – also erster unter Gleichen – ist eine komfortable Position. Das wusste schon Octavian, der, obgleich de facto Alleinherrscher im alten Rom, pro forma das Deckmäntelchen des Egalitären überstreifte [1].

 

Was seinerzeit in Fragen der Rangfolge galt, findet sich anders gewendet auch im Pétanque. Auch hier genießt die erste Kugel gewisse Vorteile vor jenen, die zwar auf dieselbe Weise, nur eben später gespielt werden. Sie blockiert  – wenn man so will – eine Stellung, welche die anderen gerne einnehmen würden (siehe: Kugelpositionen - "devant").

 

Damit das geschehen kann, müssen die Kugeln freilich auf ähnlichem Wege rollen. Hierbei sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten zu unterscheiden:

Eine vollkommen gerade Strecke, direkt vom Kreis zum Cochonnet einerseits, und ein krummer, bogenförmiger Weg andererseits. Werden nun die ersten Kugeln gelegt, haben jene, die auf gerader Bahn anrollen, kleine Vorteile, die sich auf Dauer spielentscheidend auswirken können – die "Krummen" sind hingegen von Übel: Zwar kann auch eine auf "Umwegen reisende" Kugel schließlich in unmittelbarer Nähe des Cochonnets zum Halten kommen, doch erfährt sie durch den Umstand, dass Kugeln häufig entweder zu kurz oder zu lang bemessen werden, einen Malus: Zu kurz gelaufen, liegt sie seitlich versetzt vom Cochonnet und lässt den direkten Weg offen; über ihr Ziel hinausgeschossen, liegt sie auf der anderen Seite wiederum seitlich versetzt und ist, sofern bei geradem Spiel das Schweinchen nach hinten geschoben wird, ungünstig positioniert.

 

 


Beispiel:

 

 

Die blauen Pfeile deuten die Bahn einer Kugel an, die nicht gerade geworfen wird. Wie man sieht, liegen die meisten Punkte auf dieser Bahn weder "devant" noch direkt hinter dem Cochonnet.

 

Alles was schlechter ist als Kugel B und C, also schon A oder D, stellt eine Einladung an den Gegner dar. Der direkte Weg zum Punkt, angedeutet durch die roten Pfeile, bleibt frei, was sich erfahrungsgemäß in Spielen eher früher als später rächt. 


Da erfahrenere Boulespieler durchaus in der Lage sind, eine gerade Kugel zu spielen, und dieses standardmäßig auch praktizieren, weil es gewisse Vorteile in sich birgt [2], sind jene schlecht beraten, die stets "krumm" vorlegen – sie blockieren seltener des Gegners Bahn und platzieren sich auch nicht dort, wohin der Zufall das Schweinchen treiben mag. Der Kurvenlauf einer Kugel – hervorgerufen durch Effet – ist dann von Nutzen, wenn es ein Hindernis zu umspielen gilt – wenn also eine geradeaus gerollte Devantkugel passiert werden soll.

 

 

Die Fähigkeit, Kugeln schnurgerade spielen zu können, stellt im Pétanque eine eigene Qualität dar, die durchaus nicht jedem Spieler eignet [3]. Sie auszubilden, ist ein wichtiger Schritt, um unter den Mitspielern irgendwann eine erstrebenswerte Position einnehmen zu können – die des "Primus inter Pares".

 

Thorsten


[1] Octavian , besser bekannt als "Kaiser" Augustus, war als Sieger aus den Bürgerkriegen hervorgegangen, die das Ende der Römischen Republik bedeuteten. Der Verdacht, nach der Alleinherrschaft greifen zu wollen, hatte seinen Großonkel Julius Cäsar noch das Leben gekostet – er wurde ermordet. Um diesem Schicksal zu entgehen, wählte der Großneffe eine Stellung, die ihn dem Rang nach als Teil der alten Machtelite erscheinen ließ. Aus dieser Senatorenschaft schien er nur etwas herausgehoben zu sein – Primus inter Pares.  

[2] Legt man den Wurf so an, dass die Kugel genau entgegen der Wurfrichtung rotiert, hat das im Wesentlichen zwei Vorteile: Zum einen ist das Verhalten der Kugel nach ihrem ersten Bodenkontakt so leichter vorherzusehen, zum anderen wird eine Kugel auf diese Weise maximal abgebremst (siehe: Darll ff). 

[3] Das gerade Spielen wird durch die Vermeidung des Effets begünstigt. Eine ideale Wurfbewegung, beschrieben in "Der richtige Schwung", "Schweizer Taschenmesser", "Handhaltung" und "Handgelenk", kann, sofern der Boden es gestattet, nur eine geradeaus laufende Kugel zur Folge haben.  


Bild von M. Roth auf Pixabay