Stroh und Binsen


Mag sein, es hat sie einmal gegeben, die Zeiten, da das Wünschen noch half. Wenn jemals, dann ist doch eines gewiss: Lange schon sind sie passé. Um so erstaunlicher jedoch die überbordende Flut von guten Wünschen, die einem so Tag für Tag entgegenschwappt – ein wahrer Wunschtsunami geradezu. „Schönen Abend noch“ gibt mir die Fleischereifachverkäuferin mit auf den Weg, – na ja, wenns denn hilft. Im Supermarkt gönnt man mir gar "ein schönes Wochenende", und das, nachdem ich angesichts der Länge der Warteschlange bereits alle Hoffnung hatte fahren lassen, noch vor Montag Vormittag die Kasse überhaupt zu erreichen. Die Arzthelferin gibt mir beim Aushändigen der Rezepte gar „Alles erdenklich Gute“ mit auf den Weg – beunruhigend, sollte ich mir Sorgen machen? Der Alltag ist durchtränkt von solchen Sprachformeln; allerorten wird reichlich leeres Stroh gedroschen.
Auch die uns so liebe Kugelei wird üblicherweise floskelhaft begonnen: „Ein schönes Spiel“, heißt es da, gern auch verkürzt zu „Ein Schönes“ oder gar „Schönes“ - soll ja auch mal irgendwann bald anfangen, das Ganze. Dabei weiß doch jeder, dass ein schönes Spiel meist nur einer Seite winkt. Auf die andere wartet dann nämlich: Ein richtig schwarzer Tag. Egal, ohne auf der Klaviatur der Plattitüden zu spielen, kommt keine Kugel so recht ins rollen. Im Fortgang werden dann auch weiter fleißig Sprachhülsen gestanzt. „Die Kugel ist durch“, „Der Boden ist aber steinig“, das Wetter war natürlich gestern besser oder schlechter als heute, aber „insgesamt haben wir ja wieder einmal ganz schön Glück“. Und dann darf natürlich auch der unübertroffene Goldstandard der Phrasen niemals fehlen: „Alles gut!“ Mag sein, dass es des leeren Geredes bedarf, um einander Wohlmeinendheit zu versichern; um zum Ausdruck zu bringen, dass man davon abzusehen gedenkt, sich gegenseitig sogleich an die Gurgel zu gehen, einlullen durch labern, sozusagen - aber doch bitte alles mit Maß und mit Ziel.
Warum überraschen Sie Ihr Gegenüber nicht einfach mit einem interessanten Gespräch über Vakuumfluktuationen? Der Casimir-Effekt ist als Thema keinesfalls schon so abgegriffen, wie Sie vielleicht glauben. Oder Sie werfen einmal locker die Spekulation in die Runde, allein die Justinianische Pest von 541 n.Chr. habe die Restitution des Römerreiches verhindert, das ohne diese antike Pandemie noch lange hätte bestehen können. Oder Sie starten einfach einen lockeren Plausch über Ghibbelinen und Guelfen. Der klassische Gegensatz beider mittelalterlicher Parteiungen im Konflikt zwischen Papst- und Kaisertum wird, einmal in die Runde geworfen, bestimmt so manche Gedankenknospe zum erblühen bringen.
In diesem Sinne: Interessante Osterspiele.
Thorsten