Pétanque —

EIN STRATEGIESPIEL

- Die Dimension der Aufgabe  - 


„Wenn du nicht stark bist

– sei klug "

 

                                                    Sunzi


 

Es mag auf den ersten Blick überraschen, aber Pétanque ist weit mehr als ein Geschicklichkeitsspiel. Eine Vielzahl von Handlungsfeldern stehen zur Auswahl. Spielsituation, Umstände, individuelle Fähigkeiten und Psychologie beeinflussen die Entscheidungsfindung. Darin besteht die Komplexität der Herausforderung.

 

Da ist zunächst die Einschätzung des Gegners: Zu welchen Aktionen ist er grundsätzlich in der Lage? Wo liegen seine Stärken und Schwächen? Ist er Links- oder Rechtshänder? Spielt er variabel oder statisch? Kann er seine Donées variieren oder ist er auf eine bestimmte Zone beschränkt? Kann er Kugeln direkt treffen oder muss er raffeln? Spielt er gern lange Bälle oder ist er auf kurze Distanz besonders stark? Diese Fragen müssen natürlich auch in Bezug auf die eigene Mannschaft beantwortet werden.

 

Es gilt, den Boden genau zu analysieren sowie die Spielsituation und alle vorherrschenden Bedingungen zu erkennen. Ist der Boden weich, hart, steinig, glatt, eben, enthält er Steigungen oder Senken? Zu welchen Konstellationen kann es kommen, wenn ein Spielzug gelingt, oder wenn er auf eine bestimmte Weise misslingt? Spielen Sonne, Regen, Zuschauer oder die Feldgröße irgendeine Rolle?

 

Ferner ist die Frage nach dem wahrscheinlichen Verhalten des Gegners zu beantworten. Wir versuchen seine Aktionen möglichst vorherzusehen und richten unser Handeln danach aus: Herrscht in der gegnerischen Mannschaft ein gutes Einvernehmen, wird kommuniziert, wird geplant? Werden wirkliche Spielzüge ausgeführt oder nur Einzelaktionen aneinandergereiht? Ist der Gegner nervenstark oder leicht zu erschüttern? Das können Indizien für das Kommende sein.

 

Dieses berücksichtigend, versuchen wir einen möglichst erfolgversprechenden Wurf zu finden: Wollen wir den Kontrahenten durch Stärke dominieren oder müssen wir sein Spiel zerstören, d.h. haben wir die Initiative oder liegt sie beim Gegner? Besitzt er eine spezifische Fähigkeit, die besser nicht zur Entfaltung kommen sollte oder können wir ihn mit einem eigenen Trumpf matt setzen?

 

Wir müssen das Spiel lesen und uns die Frage stellen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Offensive gekommen ist: Sollen wir lieber verhalten spielen, weil die Zeit für uns arbeitet, oder hat der Gegner just einen seiner wenigen Fehler begangen, den wir unbedingt ausnützen sollten, auch wenn das ein Riskio bedeutet?

 

Selbstverständlich sind die hier aufgeführten Fragen nicht vollständig, sie sollen nur die Komplexität des Problems verdeutlichen. Um die beschriebene Herausforderung zu meistern, bedarf es der Erfahrung unzähliger Spiele. Zwar gibt es eine Reihe von Stegreifregeln, die eine Entscheidungsfindung erleichtern können und die oft und gerne zitiert werden: "Mit der letzen Kugel soll man nicht schießen; eine Kugel davor ist besser als eine dahinter; eine sehr gut gelegte Anfangskugel muß gleich geschossen werden etc." Solche Weisheiten sind gewiss auch von Nutzen. Man hüte sich aber davor, sie einfach unkritisch anzuwenden.

 

Eine gute Strategie wird nur durch einen wachen Geist gefunden und nie durch das Befolgen starrer Regelsysteme. Werden die Schwächen starrer Regeln schon durch sich ändernde Bedingungen aufgedeckt, so kommt ein weiterer Nachteil hinzu: Der Verzicht auf die Überraschung des Gegners.

 

In einem Spiel ist Weniges schlimmer, als durchschaut zu werden. Wer sich streng an Regeln hält, und seien sie noch so vernünftig, dessen Handeln wird gläsern. Kann der Gegner unsere Züge vorhersehen, fällt es ihm leichter sie auszuhebeln. So liegt in rationalem Handeln immer auch eine Gefahr. Sind wir durchschaut, sollten unkonventionelle Aktionen unser Spiel prägen und den Gegner verwirren.

 

Hierzu bedarf es freilich der Fähigkeit, flexibel zu handeln. Je variantenreicher Planung und Ausführung sind, desto sicherer wird sich der Erfolg einstellen. Die Evolution mag keine Spezialisten. Eine zu große Spezialisierung beinhaltet in der Natur die Gefahr des Aussterbens der Art. Vermeiden wir es also, die "Säbelzahntiger" des Bouleplatzes zu sein.

 

Die Problematik ist somit umrissen, die nachfolgenden Artikel werden Teilaspekte herausgreifen und Lösungen präsentieren. 

 

 

Thorsten


Erklärung: Hierbei handelt es sich um den ersten Artikel, der für das "Boulelexikon" geschrieben wurde. Er hat daher den Charakter einer Einleitung. "Strategie" steht noch als Synonym für komplexere Planungsaufgeben, wie es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. In späteren Artikeln wird der Begriff enger gefasst und konkretisiert. 


Ergänzung: Carl von Clausewitz formulierte in seinem Werk - Vom Kriege: "Die beste Strategie ist, immer recht stark zu sein, erstens überhaupt und zweitens auf dem entscheidenden Punkt. Daher gibt es [...] kein höheres und einfacheres Gesetz für die Strategie, als seine Kräfte zusammenzuhalten". (Buch III, Kapitel 11)

Das ist eine einfache Maxime, die doch nur allzu leicht  aus dem Blick gerät. Sie zu befolgen, kann nicht umfassend genug angesetzt werden - wahrlich "ein weites Feld".   

 


Bild von PIRO auf Pixabay