Die alten Apfelsorten Ostfalens


Schon lange hatte mir ein Freund in den Ohren gelegen, gemeinsam die alten Apfelsorten der Heimat zu erkunden. Als Hobbypomologe zwar nicht von Rang, betrieb er die Fruchtkunde mit dem Furor des religiösen Eiferers. Das alte Obst, so wurde er nicht müde zu predigen, sei den fahlen Früchten der Supermärkte bei weitem überlegen, ganz zu unrecht vergessen und zudem am Wegesrand um keiner Münze feil.

 

Es war Herbst, was sollte ich machen? So brachen wir also auf. Aus den Hecken leuchteten die ersten Schlehen, die unerschrocken probiert, mit „Schlehengesicht“ ausgespien wurden. „Pah, die brauchen noch Frost“, lautete das traditionelle Urteil. Wie köstlich sie im Vergleich waren, das war uns nicht bewusst. Wie sollten wir auch ahnen, was uns bevorstand?

 

Wir hatten auf Proviant verzichtet, denn Stärkung wartete am Wegesrand. Es dauerte nicht lang, da zeigten sich auch schon die runden Früchte im Gezweig. Doch sollte ich es präziser benennen: Sie lauerten. Mit Bestimmungsbüchern ausgestattet, erkannten wir sogleich den „Mehligen Müller“, der hier überall vorkommt. Sodann den „Krustigen Krummstiel“. Auch der „Giftgrüne Gnitterling“ lugte hie und da hervor. Der Klassiker „ Schorfiger Speiapfel“ höhnte uns aus dem Blattwerk zu. Und alle, wirklich alle wurden sie probiert. Das Leben lehrt, dass nicht alles Gold ist, was da glänzt, doch bei Gott, es ist auch nicht alles köstlich, was in den Hecken leuchtet.

 

Unverdrossen ging es weiter. Es wurden gefunden: Der „Mürbe Mulstling“, „Ledriger von Hartenstein“, die alte Sorte „Bürde der Börde“ - eine Frucht von bemerkenswert kompostigem Abgang. Sogar der überaus seltene „Taube Wintertambur“ ward erspäht und leider auch gekostet, eine Kreuzung aus „Fallersleber Fettnäpfchen und „Schande von Schandelah“. Der Freund zeigte sich begeistert und unterband aufkommenden Unwillen kategorisch mit den immergleichen Worten. „Guter Wirtschaftsapfel, muss aber noch!“ Oder verstand er sich einfach besser auf die Kunst der Verstellung?

 

Auch ich war entschlossen, diese Prüfungen, die eine unbarmherzige Natur unseren Gaumen aufzuerlegen gedachte, tapfer zu ertragen, doch dämmerte mir bereits: Das kostbare Kernobst würde den Körper zur Gänze durchwandern müssen, um ihn dermaleinst – hoffentlich – wieder zu verlassen. Insgeheim betete ich, dies möge ohne übermenschliches Leid geschehen, denn gern und bald wäre ich sie wieder losgeworden, den „Wattigen Bitterling“, die „Gilbgelbe Grobparmäne“ und den „Brechenden Albrecht“.

 

Aber, so weit waren wir noch nicht. Denn nun tauchten sie in den Gebüschen auf, heimtückisch wie grimmige Partisanen, der „Dröge von Destedt,“ der auch als „ Holziger Härtling“ in Kennerkreisen wohlbekannt – besser gesagt, gefürchtet ist. Es überfiel uns der zu recht verfemte „Bornumer Ballastapfel“. Auch „Flechtinger Fluch“ und „Meerdorfer Möchtenicht“ bekamen Gelegenheit, an uns die Rache der Natur zu vollziehen.

 

Ich weiß nicht, wie ich nach Hause kam. Hatten wir wirklich, teils wohl schon in Agonie verfallen, auch noch den „Dettumer Darmgram“ probiert, uns dem „Strafgericht von Stiddien“ gestellt und den ebenso borkigen wie gallebitteren „Wendener Wurfapfel“ der Liste unserer Verkostungen hinzugefügt?

 

 

Nach einer Nacht, in der mich die Mutter allen Bauchgrimmens heimsuchte, und ich zittriger Hand mein Testament verfasste, sah mich der Morgen, unsicheren, doch eigenen Fußes die Apotheke aufsuchen. Nie habe ich seither mit dem Freunde darüber gesprochen, doch Hand aufs Herz: Kann es solche Zufälle geben? Auf dem der Freundeswohnung nächstgelegenen Papiercontainer stand, Passanten als Präsent dargeboten, ein mehrbändiges Werk. Der Titel lautete wie folgt: Die alten Apfelsorten Ostfalens.

Thorsten

Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay