Versagen unter Druck

-"Choking under Pressure" im Pétanque-


"Wenn wir anfangen, unser Versagen nicht mehr so ernst zu nehmen,

so heißt das, daß wir es nicht mehr fürchten." 

Katherine Mansfield,  Schriftstellerin


Im Sport ist ein Phänomen weit verbreitet, dessen Ursache in der Athletenpsyche zu suchen ist: Gerade wenn es besonders darauf ankommt, Leistung zu zeigen, in einem wichtigen Wettkampf etwa oder in einer besonderen Situation innerhalb eines normalen Spiels, gelingt das Handeln nicht wie gewohnt. Der Sportler bleibt überraschend hinter dem Erwartbaren zurück. Eigentlich vollkommen beherrschte Bewegungen misslingen ausgerechnet dann, wenn Einsatz oder möglicher Gewinn besonders hoch sind. Für solches “Versagen unter Druck“ hat sich mittlerweile der Begriff: „Choking under pressure“ etabliert, weshalb dieser Anglizismus hier auch genannt sein muss. Kommt es zum „Choking“, werden unsere Leistungen regelrecht abgewürgt; das, was wir eigentlich bewerkstelligen können, ist heruntergedrosselt; unsere Siegchance wird schon im Keim erstickt.


Vielleicht hast Du es auch schon einmal selbst so erlebt: Du spielst eine Partie Pétanque und hast eigentlich keine Probleme damit, den Gegner auf Abstand zu halten. Punkt um Punkt wandert auf Dein Konto. Das Spiel könnte nun bald siegreich enden, doch gerade die letzten Punkte zu machen, fällt Dir rätselhaft schwer. In einer anderen Partie spielt Dir der Zufall vielleicht die Chance zu, mit einem einzigen Treffer „richtig abzusahnen“. Solche entscheidenden Gelegenheiten lässt Du aber leider regelmäßig ungenutzt.

Oder du schießt sehr sicher in einer Partie, indem Du regelmäßig mit den ersten beiden Kugeln triffst. Den dritten Schuss aber, mit dem Du die Ernte einfahren könntest, den setzt du prinzipiell daneben.

Vielleicht bemerkst Du auch an Dir selbst, dass Deine Leistung deutlich absinkt, sobald Zuschauer Dein Spiel beobachten; wenn Leute zugegen sind, denen Du etwas beweisen willst oder die in direkter Konkurrenz zu dir stehen. Solche Begebenheiten sind typische Erscheinungsformen des Versagens unter Druck -„Choking under pressure“ . Sie zeigen sich auch bei erfahrenen Spielern, von denen man gewiss annehmen darf, dass sie sich in einer Wettkampfsituation nicht grundsätzlich unwohl fühlen.


Unter Druck gehen wir die Dinge häufig anders an, kein Wunder also, dass sie nicht gelingen wie erhofft
Unter Druck gehen wir die Dinge häufig anders an, kein Wunder also, dass sie nicht gelingen wie erhofft

Ursächlich für das beschriebene Phänomen könnte eine gesteigerte Selbstaufmerksamkeit sein, ebenso wie auch eine Ablenkung des Aufmerksamkeitsfokus dafür infrage kommt. Bei gesteigerter Selbstaufmerksamkeit wenden wir uns gedanklich zu sehr der Ausführung unserer Bewegungen zu, versuchen wir also, unser Handeln da bewusst zu kontrollieren, wo es normalerweise unbewusst und automatisch abläuft. Bei abgelenkter Aufmerksamkeit wandert unser Denken dagegen weg von den Gegenständen, die für das Gelingen der Aktion relevant sind und hin zu jenen Dingen, die für den Erfolg keinerlei Bedeutung haben oder diesen sogar negativ beeinflussen. [1]

 

Glücklicherweise ist „Choking under pressure“ nun nicht nur umfassend beschrieben und analysiert worden, es haben sich mittlerweile auch eine ganze Reihe von Maßnahmen [2] gefunden, die geeignet sind, der Misere entgegenzuwirken:

Visualisieren: Hierbei handelt es sich um den „Goldstandard“ der nützlichen Verfahrensweisen eines Pétanquespielers. Man kann den Wert dieser Technik nicht genug hervorheben. Dabei geht es darum, sich die eigentliche Handlung noch vor deren Ausführung bildlich vorzustellen, in dem Sinne, dass man deren Ergebnis imaginiert (externer Fokus) – wir stellen uns also den Flug der Kugel und deren Auftreffen im Ziel vor, nicht etwa unsere eigene Bewegung (interner Fokus). Ein nicht unwichtiger Nebenaspekt dieser Methode ist, dass damit der gewünschte Erfolg geistig vorweggenommen wird und man so bereits eine Anschauung davon hat. Visualisieren ist also automatisch jenes erfolgsorientierte Denken, das in der Sportpsychologie eine so große Rolle spielt. Um sich mental zu festigen, sollte man daher stets an das Bewirken von Erfolgen denken, niemals an das Vermeiden von Misserfolgen – konkret denken wir also nicht an die Kugel, die wir keinesfalls beseitigen dürfen, sondern einzig und allein an jene, die wir treffen wollen. Solches Denken sollte man sich regelrecht antrainieren. Wollen wir dem Druck standhalten, dann gilt es, Lust auf den Erfolg zu haben und das Gefühl geradezu herbeizusehnen, das dadurch entsteht, dass unsere Aktionen gelingen. Das Gegenteil davon ist, Misserfolge vermeiden zu wollen, denn hierdurch ergreift jene Furcht Besitz von uns, die unser Leistungsvermögen drosselt.

Gewöhnung: An Druck kann und muss man sich einfach auch gewöhnen, indem man sich Situationen häufiger aussetzt, in denen er entsteht. Wir brauchen das Gefühl, Schwierigkeiten bereits gemeistert zu haben. Daran wächst unser Selbstvertrauen und die Erinnerung an zurückliegende Erfolge ist eine gute Stütze, wenn die nächste Bewährungsprobe ansteht. Im Training sollte man daher Situationen suchen, in denen man beobachtet wird; in denen man auch scheitern kann; in denen die Verhältnisse ungünstig sind; in denen man bewertet wird. Sofern Gelegenheit besteht, gegen einen Angstgegner antreten zu können, so sollte man sie stets ergreifen, denn immer erst dann, wenn es schwierig wird, trainieren wir richtig – oder anders ausgedrückt: Wir müssen genau das trainieren, was uns schwerfällt.

Rituale und Routinen: Wenn das Versagen unter Druck durch ein Abdriften der Aufmerksamkeit ausgelöst wird, so können Rituale und Routinen helfen, dieses zu verhindern. Sie geben Sicherheit, indem sie den Geist beschäftigen, wenn er ins Bangen verfallen will oder sich zu sehr in die Bewegungssteuerung einmischt. Mit einem Ritual finden wir leicht den Anfang jenes roten Fadens, der uns im Eifer des Gefechtes nur allzu leicht entgleitet. Vielleicht betreten wir den Kreis immer auf dieselbe Weise; unternehmen einen Probeschwung mit dem Arm; prüfen Gewicht und Oberfläche der Kugeln; behauchen sie; flüstern uns selbst ein Signalwort zu – der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Indem wir Dinge immer so angehen wie eh und je – ritualisiert eben – dürfen wir auch darauf bauen, dass sie so gelingen werden, wie wir es erwarten.

Bewusste Lockerheit: Gerade wenn es wichtig wird, sollte man sich ein wenig ablenken. Es ist nicht fahrlässig, auf dem Weg zum Turnier sich angeregt zu unterhalten, Musik zu hören, oder Betrachtungen jedweder Art anzustellen. Der Stresslevel muss niedrig gehalten werden. Darauf kommt es an, denn bei niedriger Anspannung gelingen uns die Automatismen am besten. Sind wir gelassen und entspannt, dann können wir uns auch auf die richtige Weise konzentrieren. Darum soll man auch ruhig während des Turniers Wolken, Bäume etc betrachten oder interessiert beobachten, was die anderen Spieler so machen, ohne freilich zu werten oder sich zu ereifern. Wenn wir gerade nicht handeln, dann versuchen wir alles so wahrzunehmen, wie jemand, der an einem Fluss sitzt und schaut, was die Wasser so alles herantragen und wieder fortspülen. Alles kommt und geht, ohne dass es uns sonderlich betrifft. In den Pausen gilt es, sich zu regenerieren, man sollte diese also eher nicht nutzen, um weiterzuspielen.

Stressmentalität: Aufregung wird es immer geben, sie ist aber nicht per se etwas Negatives. Man sollte lernen, sie auch zu genießen, denn immerhin: wenn es beginnt zu kribbeln, gibt es ja auch etwas zu gewinnen. Die Wettbewerbssituation ist nicht zwingend unangenehm und man sollte achtgeben, sich das nicht deshalb einzureden, nur weil es vielleicht mal schiefgegangen ist. Ein entscheidendes Spiel ist in erster Linie eine Chance. Man hat sie sich erarbeitet und so gesehen ist es schon ein Erfolg, dass es nun wirklich etwas zu gewinnen gibt. Wir sollten eine gewisse innere Unruhe daher auch nicht als schädliche Nervosität missdeuten, sondern als positive Gespanntheit und natürliche Aufgeregtheit erkennen. Die aufkommende Erregung ist eher eine Art „Champagnerlaune“. Das Spiel, das wir spielen wollen, ist aufregend – das ist doch toll! Noch stehen wir bebend vor geschlossener Tür, gleich aber ist Bescherung ;-)

Rationale Einordnung: Wenn wir verlieren, so sind wir nicht als Mensch gescheitert, sondern haben nur eine Partie verloren. Nicht schlimm! – es ist eine von vielen, die noch kommen werden. Sollten wir gewinnen, so ist das zwar schön, hat aber ebenso keine überragende Bedeutung. Es ist ein Detail in unserer langen Boulekarriere. Kein Grund also, übermäßig tiefgründige Schlüsse daraus zu abzuleiten. Mit diesem Wissen können wir gedanklich immer aus der eigentlichen Situation heraustreten, wenn es einmal nicht so läuft wie gewünscht. Wir können uns gleichsam selbst über die Schulter schauen und alles von einer Meta-Ebene aus betrachten, vielleicht mit einem feinen Lächeln: „So ists halt heute... mal so, mal so. Ich kenne das doch. So what?“ Indem wir auf diese Weise etwas Abstand gewinnen, spüren wir, wie der Druck sich verflüchtigt; erfahren wir, dass wir plötzlich befreiter und auch erfolgreicher aufspielen und haben schon bald die Krisis überwunden.

Der „Reset-Knopf“: Es existiert eine überraschend einfache Methode [3], mittels derer ein Sportler seine Blockade aufzulösen vermag: Wenn etwa ein Computer einmal streikt, dann ist die erste Handlung, um alles wieder zum Laufen zu bringen, die Betätigung der „Reset-Taste“. Ein Neustart des Systems hilft fast immer und schon kann in gewohnter Manier fortgefahren werden. Wir verfügen ebenfalls über solch eine Möglichkeit. Man muss lediglich kurz vor der eigentlichen Handlung seine linke Hand etwa 10-15 Sekunden lang zur Faust ballen oder die darin befindliche Kugel mit entsprechend festem Griff halten. Es wird hierdurch eine Entspannung der linken Gehirnhälfte bewirkt, infolge derer der kommende Wurf harmonischer ausgeführt werden kann. Linksseitig laufen sprachliche Prozesse ab, die bei Angst oder Druck dominant werden. Diese zu beruhigen führt dazu, dass die rechte Gehirnhälfte die flüssige Bewegungsausführung ungestört zu koordinieren vermag. Der Nutzen dieses Verfahrens konnte in verschiedenen Sportarten bereits nachgewiesen werden. Es ist also eine Überlegung Wert, es als festen Bestandteil in die persönliche Wurfroutine zu integrieren. Bislang ungeklärt ist leider, ob Linkshänder ebenso verfahren können.

Leicht soll die Kugel die Hand verlassen, so leicht, wie sich ein Schmetterling in die Lüfte erhebt
Leicht soll die Kugel die Hand verlassen, so leicht, wie sich ein Schmetterling in die Lüfte erhebt

Im Wettbewerb sind wir immer wieder versucht, mit festem Griff nach dem Erfolg zu greifen, obgleich wir doch wissen, dass einzig Leichtigkeit und Harmonie die Quellen der Präzision sind, die wir erstreben. Druck ist es, der Muskeln sich verhärten lässt, den Griff fest macht und uns Konzentration raubt. Druck jedoch ist im Wesentlichen eine Frage des Empfindens. Im Pétanque unter Druck zu bestehen, gilt es daher, nicht den Köper zu härten, sondern den Geist - gilt es, sich den Feinsinn zu bewahren und nicht dem Furor zu erliegen. Allein schon das Wissen darum, dass Mittel existieren, dem Versagen unter Druck zu wehren, beruhigt und wäre eigentlich als eigener Bestandteil der Maßnahmenliste zu nennen gewesen. Richtig eingesetzt, spenden die genannten Maßnahmen im Wettkampf die "zweite Luft", verschaffen Atem dort, wo wir manchmal zu ersticken drohen.


[1] https://lexikon.stangl.eu/6572/choking-under-pressure

Die folgende Arbeit bietet einen systematischen Überblick über das Themenfeld: https://eplus.uni-salzburg.at/obvusbhs/content/titleinfo/4954788/full.pdf

[2] https://hbr.org/2022/04/the-science-of-choking-under-pressure (Der Artikel steht für eine ganze Reihe von Veröffentlichungen ähnlichen Inhalts, die leicht auffindbar sind)

[3] https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/eine-technik-gegen-versagen-unter-druck


Bild 1: von BRRT auf Pixabay

Bild 2: von Mohamed Hassan auf Pixabay

Bild 3: von Live Green auf Pixabay