Die Weihnachtszeit naht, jener Teil des Jahreskreises, da viele der Hektik entsagen und ihre Mußestunden mit dem Glas Punsch heimelig vor Kerze oder
Fernseher [1] verbringen. Es ist diese jährlich wiederkehrende Phase, in der selbst bei Hartgesottenen die Rapmusik [2] besinnlicheren Klängen weicht und Kinderkehlen [3] im
Radio [4] die "Weihnachtsbäckerei" in Endlosschleife preisen. Eine Zeit, in der die Gedanken weniger neuesten Erkenntnissen der Wirtschaftsprognostik [5] gelten, die in
Talkshows [6] von Experten [7] dargeboten, den Bürger zu Veränderung [8] und maßvollem Handeln [9] mahnen, sondern sich das Denken vielmehr der bangen Frage zuwendet,
ob denn der Befüllungszustand der Gefriertruhe [10] dem in Bälde zu erwartenden Ansturm gewachsen sei, oder ob das frostige Magazin vom Lieblingsdiscounter [11] nicht zeitnah
aufgestockt werden müsse. In jener Zeit der Familienfeste, in der die segensreiche Sitte des Fotografierens [12] von allem und jedem, ihren Jahreshöhepunkt erreicht, ändert auch unser
aller Lieblingssport – das frankophile Herumkugeln – für kurze Zeit seinen Charakter und wird fast heiter. Einst von deutschen Touristen [13] aus dem Mutterland von Baguette und Beaujolais
in der irrigen [14] Ansicht importiert, es ließe sich die zugehörige Gelassenheit [15] mediterraner Sonnenmenschen so leicht im "2CV" über die Grenze schaffen, wie der das
Reisegepäck beschwerende 3er-Satz Stahlkugeln, hat es sich hier schnell dem rauen und nüchternen Wesen der Landeskinder angeglichen. Dieses hinlänglich bedauerte Faktum [16] abermals zu
beklagen, gar zu kritisieren [17] oder Änderung zu geloben, wäre jedoch arg wohlfeil. Denn wenn wir nun zum Jahresausklang, glühweinselig und frostiger Finger, beim Kugelwerfen mal fünfe
gerade sein lassen, dann sei uns eines gewiss: Im kommenden Jahr sind wir doch wieder dieselben, machen wir also das Beste daraus.
[1] Fernsehen: Perfide Waffe zur Vorbereitung einer Invasion von Exoterristen, die von diesen zur völligen geistigen Zerrüttung der Menschheit ersonnen wurde und mit Erfolg
bereits seit Jahrzehnten eingesetzt wird.
[2] Rapmusik: A) Entsetzliches Instrument der Rache, mit dem junge Menschen mit seltener realem, zumeist aber nur vorgeblich kriminellem Hintergrund, die Gesellschaft für
vermeintlich erlittenes Unrecht geißeln.
Rapmusik: B) Spontaner Ausbruch der Freude, der junge Menschen überkommt, wenn sie die Entdeckung machen, dass sich Worte reimen können, wodurch sie aber – unglücklicherweise –
in den Irrglauben verfallen, jede ihrer Entdeckungen der Menschheit lautstark mitteilen zu müssen.
[3] Kinder: Eine der sieben biblischen Plagen und der überzeugendste Beweis dafür, dass alle negativen Eigenschaften dem Menschen bereits angeboren sind. Kinder werden aufgrund
einer elterlichen Wahrnehmungsstörung mit der Bezeichnung "Liebe", wider alle Wahrscheinlichkeit dennoch nicht sogleich verstoßen.
[4] Kommerzielles Radio (auch Dudelfunk): Meditationshilfe im Zenbuddhismus, die es auch ungeübten Personen ermöglicht, jenen angestrebten mentalen Zustand zu erreichen, bei dem
das Gehirn, durch keinerlei Gedankentätigkeit belastet, mit einem absoluten Minimum kognitiver Prozesse auskommt.
[5] Wirtschaftsprognostik: Heilverfahren aus der Psychiatrie, bei dem Geisteskranke, die sich mit der Gabe der Prophetie begabt wähnen, mental stabilisiert werden sollen, indem
man ihnen die größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit zukommen lässt. (Siehe auch: Wahlprognosen)
[6] Talkshow, politische: Allwöchentliches Konzil von Heilspredigern, bei dem diese stets betuchten Weisen ihren weniger begüterten Zeitgenossen die Notwendigkeit der strengen
Askese predigen, um sich selbst dieser lästigen Übung enthalten zu können.
[7] Experte: Person, die, obzwar nicht wissender als andere, diesen Zustand jedoch wortreicher und vor allem besser bezahlt zelebriert.
[8] Veränderungen: Ärgerliche Störungen, die von missgünstigen Göttern über die Menschen gebracht werden, um sie zu verwirren.
[9] Maßvolles Handeln: Rhetorische Figur, die etwas umschreibt, das man von anderen einfordert, ohne es selbst zu praktizieren.
[10] Gefriertruhe: Segensreicher Automat zur Vermeidung kognitiver Dissonanzzustände (volkstümlich: Gewissensbisse), der es dem Menschen ermöglicht, überschüssige Nahrungsmittel,
deren Vernichtung er nicht über sich bringen kann, guten Gewissens so lange zu lagern, bis ihn – meist nach Jahren – elementare Hygiene- und Vernunftregeln dazu zwingen, deren Entsorgung nun,
wiederum guten Gewissens, endlich ins Werk zu setzen.
[11] Discounter: Ausschließlich für Spitzenverdiener geschaffene, mildtätige Einrichtung, die es diesem schwer gebeutelten Personenkreis überhaupt erst ermöglicht, einen
minimalen Lebensstandard aufrecht zu erhalten.
[12] Fotografien: Nie betrachtete Lichtbilder, die von einem bösartigen Vorfahren unter hohen Kosten angefertigt und meist jahrzehntelang
aufbewahrt wurden, um den Nachkommen die Ordnung des Nachlasses möglichst zu verkomplizieren.
Fotografieren: Akt des Verzichts, bei dem ein Mensch aktivem Erleben bewusst entsagt, zugunsten der theoretischen – freilich niemals
genutzten – Möglichkeit, dieses später anhand von Artefakten nachholen zu können.
[13] Deutscher Tourist: Skrupelloser Landesverräter, der systematisch andere Länder besucht, um das dort nach diversen Weltkriegen ohnehin nur noch rudimentär vorhandene Ansehen
seines Heimatlandes, durch unverschämtes und unzivilisiertes Verhalten vollständig zu ruinieren.
[14] Irrtum: Peinliches Versagen der Urteilskraft, das glücklicherweise stets nur anderen widerfährt.
[15] Gelassenheit (üben): Reine Worthülse und inhaltsleere Empfehlung, die es ermöglicht, einen sich in einer Drucksituation befindenden Ratsuchenden auf elegante Weise abzuspeisen. Das verbale Placebo wird desto freigiebiger ausgeteilt, je ferner sich der Ratgeber jener Krise glaubt, die den Ratsuchenden beschwert.
[16] Faktum: Eine, die souveräne Urteilsfindung beeinträchtigende Petitesse – das Steckenpferd von Pedanten.
[17] Kritik: Unpräziser Begriff, der sowohl das unberechtigte und kleingeistige Gekrittel der anderen, als auch das luzide und wertvolle Aufzeigen von Missständen bezeichnet, das
man selbst – aus reinem Altruismus – gelegentlich auf sich zu nehmen geneigt ist.
Thorsten
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Wer Boule als ein Spiel versteht, zu dem man sich öffentlich trifft, zwanglos und leidenschaftlich, frei von finanziellen Verpflichtungen und Leistungsdruck, aus Freude gespielt, bei dem die Gemeinschaft nicht zu kurz kommen darf, der wird bei uns Gleichgesinnte treffen.
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- "Versagen unter Druck" NEU
- Der Artikel "Visualisieren im Pètanque" (ehemals "Der Mythos vom Zielen") wurde überarbeitet und bekam einen anderen Platz in der Gliederung. Insbesondere wurde darauf abgezielt, dass das Thema "Visualisierung", das inhärent bereits das Grundthema des Aufsatzes gewesen war, nun auch mit diesem Begriff angesprochen wird. Der Text wurde überarbeitet und es wurde auf Beziehungen zu später entstandenen Artikeln hingewiesen.
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