„Ohne Mut und Entschlossenheit kann man in großen Dingen nie etwas tun,
denn Gefahren gibt es überall.“
Clausewitz
Der Umgang mit endlichen Ressourcen gebietet Sparsamkeit. Wenig ratsam ist es daher, Wettkämpfe grundsätzlich auf Ermattung hin anzulegen[1]. Besser, der Sieg kommt schnell und nicht erst nach endlosem Ringen. Geben jedoch beide Parteien ihr Äußerstes, ergibt sich daraus jener zähe Kampf, den wir mit großen Spielen assoziieren. Das sind dann Partien, die nach langer Dauer von Unterlegenen wie Siegern in dem Bewusstsein beendet werden, dem Pétanquesport die Ehre gegeben zu haben. Denn, wie es bei Fontane im "Stechlin" heißt:
"Große Zeit ist immer nur, wenn es beinahe schief geht, wenn man jeden Augenblick fürchten muss: Jetzt ist alles vorbei."
Immer wieder kommt es vor, dass ein Team am Zuge ist und dann alle seine Kugeln verbraucht, weil etwa der Schütze nicht trifft und keine weitere Kugel zu punkten vermag. Man sagt dann, die Mannschaft habe sich "leergespielt". Im Extremfall hält eine Seite noch fünf Kugeln, während der Gegner sein letztes Pulver bereits verschossen hat. Diesem wichtigen Moment einer Partie muss alle Aufmerksamkeit gelten. Er darf durch übervorsichtiges Handeln nicht vertan werden. Viele Punkte gilt es dabei einzufahren oder gar das Spiel zu entscheiden.
Um das zu erreichen, muss zunächst Raum für weitere Kugeln geschaffen werden, die noch ins Ziel gebracht werden sollen. Häufig ist zu sehen, dass unerfahrene Spieler in diesem Falle einfach wie üblich weiterspielen. Es werden vorsichtig Kugeln gelegt und die Situation dadurch verkompliziert. Am Ende bleibt die Ausbeute mager. Wird dann festgestellt, dass die Lage doch einen Schuss erfordert, liegen meist schon so viele eigene und fremde Kugeln beieinander, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas Unerwartetes geschieht.
Hält man noch viele Kugeln, hat also hohen Kugelvorteil, so ist die Zeit für brachiales Vorgehen gekommen. Es darf forscher vorgegangen werden, denn der Gegner kann nicht mehr reagieren.
Beispielsweise kann versucht werden, die Sau in eine Zone zu bewegen, in der sie vollkommen frei liegt (Sauziehen). Ebenso kann direkt auf das Cochonnet geschossen werden, um es ins Aus zu befördern (Sauschuss). Man kann versuchen, mehrere Kugeln des Gegners mit einem Schuss zu entfernen, da diese in solchen Situationen meist dicht gedrängt liegen (Ballung). Ferner kann sogar auf alle verbliebenen Gegnerkugeln geschossen werden, hoffend, es werden eigene weiter entfernt liegende Kugeln wieder aufleben.[2]
Diese beherzte Spielanlage hat auch eine psychologische Komponente: Wird nämlich übervorsichtig gespielt, obwohl der Gegner nicht mehr handeln kann, beweist das mangelndes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ohne solches Zutrauen stellt sich aber ohnehin kein Erfolg ein. Wird hingegen eine solche Aktion erfolgreich abgeschlossen, ist der Kontrahent gezwungen, künftig ein höheres Risiko einzugehen, um sich eben nicht leerzuspielen. Auch daraus kann erheblicher Nutzen gezogen werden.
Es ist sinnvoll, sich innerhalb des Teams zu verabreden, solche Situationen auszunutzen, koste es, was es wolle. Das hilft dem Spieler, unbefangen zu agieren. Sein Handeln ist durch die Mannschaft "gerechtfertigt". Sollte doch einmal etwas schiefgehen, ist das, um künftiger Erfolge Willen, schulterzuckend hinzunehmen.
Überlegung: Eine forsche Gangart, wie sie hier beschrieben wurde, wird oft von Mitspielern mit dem Argument abgelehnt, man könne auch noch Kugeln legen. Sicher ist das möglich. Werden aber wirklich alle Kugeln oder auch nur die Mehrzahl im Ziel landen? Wird nicht eher eine unserer Kugeln so unglücklich laufen, dass sie am Ende die ganze Aktion, die ja dann auf engstem Raum stattfindet, noch ruiniert? Es ist hierbei nicht von Belang, ob der beste Leger des Teams noch eine Kugel "bringen" kann. Vielmehr gilt es zu klären, wieviel Raum benötigt wird, dass die Mehrzahl der Kugeln ihr Ziel erreichen. Eben weil immer auch noch eine Kugel gelegt werden kann, ist es geboten, anfangs alles zu versuchen. Das Risiko muss am Anfang stehen, wenn noch flexibel reagiert werden kann. Das Selbstvertrauen, einen Unfall noch reparieren zu können, muss sich jeder Spieler aneignen.
Der Wille, ein Spiel schnell zu beenden, hilft uns, Ängstlichkeit und Befangenheit abzuschütteln. Er führt uns zu jenem Spiel des offenen Schlagabtausches, in dem sich die Faszination des Pétanque jedermann offenbart. Mag es auch im Alltag wenig manierlich sein, "den Braten gleich vom Spieße zu essen" [3], beim Pétanque ist es Ausweis von Raffinement und Klasse.
"Der Krieg liebt den Sieg, nicht die Dauer"
Sūnzǐ
General, Stratege, Philosoph
Thorsten
[1] Freilich lassen sich auch aus gegenteiligem Vorgehen "erfolgreiche" Strategien entwickeln. Dem ist der Artikel "Asymmetrie der Kräfte" gewidmet. Erfolgreich sind sie, da sie tatsächlich zur Niederlage des Gegners führen. Allerdings sind die hierfür erbrachten Opfer nicht selten ungeheuerlich hoch.
Aus der Welt des Sports sei noch ein Beispiel genannt: Der legendäre Boxkampf, der als "Rumble in the Jungle" bekannt ist, sah tatsächlich den unterlegenen Muhammad Ali als Sieger, nachdem er George Foreman, dem man einen schnellen K.O.-Sieg zugetraut hatte, mit einer ausgefeilten Zermürbungstaktik entgegentrat.
[2] Hier kann dann auch einmal die Situation gekommen sein, flach in ein Feld gegnerischer Kugeln hineinzuschießen, auch dann, wenn man sonst nur den "Eisenschuss" praktiziert. Bei solchen Aktionen, bei denen die Kugel etwas entfernt vom eigentlichen Ziel den Boden berührt, lassen sich, je nach Lage der Kugeln und Bodenbeschaffenheit, durch "Tir devant" manchmal schöne Kettenreaktionen erzielen. Immer ist es das Ziel, sogleich eine große Bresche in die "Festung" zu schlagen, oder, wie es Marina Weisband einmal prägnant formulierte:
"Wenn wir alles anzünden, sparen wir uns viele Zwischenschritte".
[3] Eigentlich: "Man muss den Braten nicht vom Spiesse essen."
Lat.: Ne a chytropode cibum nondum sacrificatum rapias. (Hesiod.)
Zitiert nach: Deutsches Sprichwörter-Lexicon von Karl Friedrich Wilhelm Wander
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- Der Artikel "Visualisieren im Pètanque" (ehemals "Der Mythos vom Zielen") wurde überarbeitet und bekam einen anderen Platz in der Gliederung. Insbesondere wurde darauf abgezielt, dass das Thema "Visualisierung", das inhärent bereits das Grundthema des Aufsatzes gewesen war, nun auch mit diesem Begriff angesprochen wird. Der Text wurde überarbeitet und es wurde auf Beziehungen zu später entstandenen Artikeln hingewiesen.
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