Gelegentlich ist beim Spiel folgender Satz zu hören: "Wir spielen auf Bild". Oft ist das nur ein ironischer Kommentar zur leicht frustrierenden Tatsache, mit der gespielten Kugel den Punkt nicht erzielt zu haben. Dennoch existiert diese Option tatsächlich und beinhaltet für den Gegner einige Brisanz.
Ein Beispiel soll verdeutlichen, was gemeint ist:
Bild 1: Team ROT beginnt und legt seine Kugel (A) etwas hinter das Cochonnet. Solche Eröffnungen laden den Gegner ein, besser zu legen und die liegende Kugel gar als Bremse zu verwenden. BLAU versucht genau das, bleibt aber zu kurz und hat damit eine Devantkugel (B). Es wäre nun möglich, auf die rote Kugel (A) zu schießen, BLAU legt aber eine zweite Kugel (C), die jedoch ebenfalls zu kurz bleibt. BLAU hätte nun die Möglichkeit, da bereits 2 Kugeln das Zentrum blockieren, auf ROT (A) zu schießen, was auch absolut richtig wäre.
Bild 2: Team BLAU wählt aber eine Alternative und will eine seiner beiden Kugeln in den Punkt spielen. Kugel (B) wird also angeschoben. Dabei bliebt die gespielte Kugel (D) fast an der selben Stelle liegen. Sie hätte sogar nachlaufen können, wodurch BLAU 2 virtuelle Punkte erhielte. Sogar Kugel (C) hätte zusätzlich noch verbessert werden können. Das zunächst zögerliche Vorgehen hat BLAU nun eine starke Stellung eingebracht. ROT muss schießen, um seine Kugel wieder aufleben zu lassen, riskiert aber dabei, dass diese "gekontert" wird. Scheitert ROT dabei, ist der Weg zum Punkt weiterhin blockiert; sich mit Legen zu retten, wird dann nicht leicht. Hat ROT Erfolg, kann BLAU immer wieder in das Zentrum legen und seine Kugeln verbessern. ROT muss also noch mehrfach erfolgreich schießen. Zudem bleibt BLAU immer die Option, die von ROT zuerst gelegte Kugel (A) risikolos zu entfernen. Für ROT kann es also richtig teuer werden.
Blau hat hier offensichtlich "auf Bild" gespielt und sich, den Kugelnachteil in Kauf nehmend, eine starke Position erarbeitet. Wie könnte ROT richtig reagieren?
Nach "Clausewitz" muss ein Angriff dem "Centrum Gravitatis" gelten [1]. Es muss also jener Faktor ausgeschaltet werden, der den Schwerpunkt des Gegners bildet - seine Kraftquelle. Das ist hier offensichtlich die blaue Devantstellung (D+C) und nicht der Punkt (B). Der erste Schuss muss also zum Ziel haben, diese zu zertrümmern!!! ROT muss den Weg zum Cochonnet freisprengen, die Doppelung aufheben und darf zumindest darauf hoffen, glücklich noch weitere der blauen Kugeln zu entfernen. Die Doppelung (Ballung) ist zudem leichter zu treffen. Ist der Weg frei, kann ROT mit einer eigenen Kugel das Zentrum besetzen, dabei versuchen, den Punkt zu legen, und "billigend in Kauf nehmen" dass, durch leichtes Anschieben des Cochonnet, die durchgelegte Kugel (A) ebenfalls wieder auflebt.
Freilich ließe sich die Situation auch durch weitere erfolgreiche Schüsse lösen, ebenso hätte BLAU durch sofortiges Schießen der Aufnahme eine andere Wendung geben können. Die beschriebene Situation kommt aber immer wieder vor. Bei Profispielen ist sie gleichwohl selten zu sehen. Je stärker die Tireurfähigkeiten dominieren, desto weniger sinnvoll ist es, in der hier beschriebenen Weise "Festungen" zu errichten.
Das Spielen "auf Bild" behält dennoch seinen Stellenwert im Pétanque. Des Gegners Möglichkeiten abschätzen, ihm "Steine" in den Weg legen und das Zentrum besetzen, solange es noch frei ist, das führt zu Punkten, die sich schließlich aus dem Bild ergeben, eben zu "Bildpunkten".
Thorsten
[1] Das Boulelexikon folgt in einigen Bereichen den Gedanken des Militärtheoretikers Carl von Clausewitz. Der hier im taktischen Bereich angewandten Suche nach des Gegners Schwerpunkt - "Centrum Gravitatis" kommt eine große Bedeutung beim Finden erfolgreicher Strategien zu. Siehe hierzu: "Die Bedeutung der Strategie".
Anmerkung: Die hier besprochene taktische Variante ergibt sich häufig, weil der Schütze – meist ist das ja der versierte Spieler unter den Mannschaftsmitgliedern – zögert, seine Kugeln frühzeitig zum Einsatz zu bringen. Das kann sinnvoll sein (siehe hierzu: "Fleet in being"); es kann aber auch dazu führen, dass Chancen vertan werden und die Entwicklung einzelner Spieler systematisch behindert wird. Siehe hierzu: "Entlastung" und "Fatales Zögern".
Ergänzender Gedanke: Auf dem Platz lässt sich immer wieder beobachten, dass manche Spieler eher Egoisten sind, dass also für sie als Erfolg nur das zählt, was sie selbst bewirkt haben. Andere sind Altruisten und bewerten den Erfolg nach dem, was unter dem Strich für die Mannschaft dabei herauskommt. Es versteht sich, dass mit Letzteren "tiefere" Taktiken möglich werden.
Bild: Teil der "Teufelsmauer" im Vorharz
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- Der Artikel "Visualisieren im Pètanque" (ehemals "Der Mythos vom Zielen") wurde überarbeitet und bekam einen anderen Platz in der Gliederung. Insbesondere wurde darauf abgezielt, dass das Thema "Visualisierung", das inhärent bereits das Grundthema des Aufsatzes gewesen war, nun auch mit diesem Begriff angesprochen wird. Der Text wurde überarbeitet und es wurde auf Beziehungen zu später entstandenen Artikeln hingewiesen.
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