WENN SPÄTER EINMAL, WARUM NICHT JETZT?
UND WENN NICHT JETZT, WIE SPÄTER DANN EINMAL?
Augustinus Aurelius , Bischof, Philosoph
Beim Pétanque zeigen versierte Spieler regelmäßig ein Verhalten, das zu denken gibt: Obwohl besagte Koryphäen über ein Können verfügen, das die Fähigkeiten ihrer Mitspieler weit überragt, denn ihre Aktionen sind – gleich, welcher Art – überwiegend von Erfolg gekrönt, zögern sie ihren Einsatz heraus, solange der Partner noch Kugeln zu spielen hat. Konkret gesagt, behalten sie sich als Tireure das Recht vor, die letzten Kugeln zu spielen.
Zweifellos kann hierdurch manch brisante Situation entschärft werden, ebenso aber werden viele Chancen nicht wahrgenommen. So wird dem Spiel eine im Grunde falsche Richtung gegeben. Solches beobachtend, manifestiert sich immer wieder folgende Gewissheit: Zögerlichkeit ist die einzige Schwäche der Makellosen.
Freilich, ein "Profi" – mit einem "Amateur" gemeinsam ein Team bildend – findet gute Gründe für eine abwartende Herangehensweise: Er hält seine Kugeln in Bereitschaft, ohne die Karten bereits aufzudecken und bildet eine Reserve für den Fall, dass dem Partner etwas elementar misslingt. Leicht sind aus Unerfahrenheit drei Kugeln in Folge verspielt und mit ihnen die Partie.
Gleichwohl werden aber brisante Situationen hierdurch erst erzeugt: Wo ein früher Schuss die Bürde, eine gute Kugel zu legen, an den Gegner weiterreicht und diesen gleichsam befragt, ob seine erste Aktion nicht allein glücklichem Geschick entsprang; wo ein früher Angriff das Feld zu einem Zeitpunkt freiräumt, da nicht schon eigene Kugeln im Konterbereich liegen; wo frühes Attackieren per Carreau die Situation in ihr Gegenteil verkehren könnte, da erschwert Zuwarten nicht selten die Aufgabe.
Die Wahl der Vorgehensweise ist natürlich stets nur aus der konkreten Situation zu erschließen. Wer das Spiel aufmerksam liest, wird auch die rechte Entscheidung zu treffen vermögen. Wogegen es sich jedoch auszusprechen gilt, das ist das gewohnheitsmäßige Zögern, die Manier der Cracks nämlich, das Recht der letzten Kugel automatisch sich selbst zuzuschanzen, denn hierdurch ergeben sich weitreichende und gravierende Folgen: Der Neuling lernt nämlich die beschriebene Spielweise als scheinbaren Standard kennen und gewöhnt sich an diese, was zur Folge hat, dass sie in bestehenden Boulegemeinschaften zur nicht mehr hinterfragten und tradierten Spielkultur wird, die dann alle Beteiligten auf zu defensives Spielen festlegt [1].
Solcherart defensiv angegangene Partien werden übrigens häufig dennoch verloren, weil – fatalerweise – der Veteran, der bereits das Risiko scheute, seinem unerfahren Partner zu vertrauen, dann auch nicht den Wagemut aufbringt, die Runde folgerichtig zu beenden. Eine zunächst abwartende Haltung erfordert dann nämlich einen beherzten Schuss in ein enges Bild hinein, mithin ein Wagestück, das chirurgische Präzision verlangt und den Mut, ein Scheitern auf die eigene Kappe zu nehmen.
Den Beobachter von Pétanquepartien frappiert, wie Meister der Kugeln, sobald sie ihresgleichen Unterstützung entbehren, wohlpräpariert und reisefertig am Bahnsteig stehend, alle Züge davonfahren lassen, um sich schließlich per pedes auf einen Marsch einzulassen, der sich allzu oft als zu beschwerlich erweist. Ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich auch in solchen Partien die Grenzen des Machbaren auszuloten; Risiken einzugehen; Verantwortung zu übernehmen, werden sie dabei nicht gerecht.
Thorsten
Ergänzung: Im Zweiten Punischen Krieg, in dem der karthagische Feldherr Hannibal Rom bei Cannae an die Grenze der Niederlage brachte, indem offenbar wurde, dass seiner überlegenen Kriegstaktik nichts entgegenzusetzen war, trat auf Seiten der Römer ein Feldherr erfolgreich auf den Plan, des abwartende Haltung ihm den Beinamen Cunctator / Zögerer einbrachte. Dieser vermied strikt jede Schlacht. Strategische Maxime war es, eine weitere katastrophale Niederlage und damit ein schnelles und ungünstiges Ende des Krieges um jeden Preis zu vermeiden. Da sich die Punier als unfähig erwiesen, langwierige Belagerungen durchzuführen, unterlagen sie schließlich, obgleich operativ weit im Vorteil, der immer stärker zum Tragen kommenden strategischen Überlegenheit ihrer Gegner.
Nicht zu jedem ungünstigen Moment mit vollem Risiko zu kämpfen, ist eben doch ein Konzept, das aufgehen kann, wenn es klug gehandhabt wird. Es klug handhaben bedeutet, es zu wählen, wenn die Notwendigkeit erkannt wird, und es aufzugeben, sobald dieses möglich ist. Bekanntlich endete der Krieg in offener Feldschlacht bei Zama im Lande der Punier zugunsten Roms. Unter Scipio waren die Legionen zur Offensive zurückgekehrt.
[1] Man sollte die langfristigen Folgen solcher Spielkulturen keinesfalls unterschätzen. Die unerfahreneren Spieler werden nämlich auf ein zu enges Aufgabenspektrum festgelegt, und so systematisch an der eigenen Entwicklung gehindert.
Anmerkung: Das hier behandelte Thema wird auch im Taktikteil abgehandelt, freilich dort unter etwas anderen Vorzeichen. Es lässt sich nicht immer eindeutig ergründen, ob die Zögerlichkeit strategischer Natur ist, also als Spielanlage für die komplette Partie dient; oder ob sie eher der Taktik zugehörig, nur eine oder wenige Aufnahmen betrifft. Siehe: Entlastung
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- Der Artikel "Visualisieren im Pètanque" (ehemals "Der Mythos vom Zielen") wurde überarbeitet und bekam einen anderen Platz in der Gliederung. Insbesondere wurde darauf abgezielt, dass das Thema "Visualisierung", das inhärent bereits das Grundthema des Aufsatzes gewesen war, nun auch mit diesem Begriff angesprochen wird. Der Text wurde überarbeitet und es wurde auf Beziehungen zu später entstandenen Artikeln hingewiesen.
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