"Wenn man selbst lieber zu viel tut
und wenig von anderen erwartet,
so bleibt man fern vom Groll."
Konfuzius (551 - 479 v. Chr.)
Eine Pétanquepartie lässt sich schwerlich ohne eine Idee davon führen, was sich künftig ereignen mag. Zwar ist aus dem Kugelbild einiges ablesbar, richtig zu spielen bedeutet aber, abzuschätzen, was Gegner und Mitspieler zu leisten im Stande sind und was sie unternehmen werden. Die Qualität unserer Entscheidungen ist abhängig von dem Bild, das wir uns von der Zukunft machen - also von unseren Erwartungen. Darüber hinaus aber beeinflussen Erwartungen auch unser seelisches Gleichgewicht.
Erwartungen können auf die allgemeine Spielsituation gerichtet sein, auf die eigenen Leistungen, oder auf die Leistungen der anderen. Dieser Umstand wäre nicht weiter erwähnenswert, teilten sich Erwartungen nicht in zwei Kategorien auf, mit je unterschiedlichen Auswirkungen auf das Spielerverhalten: Da wären zum einen Erwartungen, die darauf abzielen, was sich vermutlich ereignen wird. Diese werden mit dem Fachbegriff "Antizipatorische Erwartungen" geschmückt. Zum anderen sind da Erwartungen, die das beinhalten, was sich ereignen sollte. Diese tragen die Bezeichnung "Normative Erwartungen".
Normative Erwartungen sind im Pétanque eine Treppe, die in die Niederungen des Spiels führt und deren Stufen mit Schmierseife gebohnert wurden. Sie führen den Boulespieler hinab in jene Hölle des neurotischen Spielens, in der Anspruchsdenken, Ehrgeiz und Paranoia das Spiel und das Miteinander zerstören. Aber, der Reihe nach...
Psychologisch gesehen sind Erwartungen ein Feld, auf dem Neulinge den Fortgeschrittenen überlegen sind, denn meist haben sie keine. Gleichgültig, wie viele Fehlversuche vorausgingen, der erste gelungene Wurf ist wunderbar und spornt an. Mit wachsender Erfahrung wachsen auch die Ansprüche. Bestimmte Leistungen werden als normal empfunden und somit erwartet. Erst ist es eine-, dann zwei- und schließlich sind es drei Kugeln, die ins Ziel kommen müssen, gefälligst, könnte man sagen, oder pflichtschuldigst. Aus der objektiven Beobachtung, dass Würfe häufig gelingen, wird dann leicht eine Norm die besagt, dass sie eben zu gelingen haben. Ab diesem Punkt wandelt ein Spieler auf gefährlichen Pfaden, denn die Übertretung einer Norm kann als Beleidigung oder gar als Verbrechen aufgefasst werden und ist irgendwie zu sanktionieren. Ein schlechter Tag oder ein zufälliges Missgeschick werden dann schnell zum Affront.
Wird zugelassen, dass die eigenen Erwartungen normativ werden, generiert das eine Spielweise, bei der schon erste Missgeschicke eine Negativspirale auslösen, in der Selbstvorwürfe die Leistung hemmen und unzureichende Leistungen zur Selbstkasteiung auffordern. Dazu passt ein Mannschaftsklima, in dem es nicht gilt, den Gegner mutig zu attackieren, sondern nur darauf gelauert wird, wer wohl den entscheidenden Fehler begeht. In solch einer Atmosphäre ist die Beherztheit ein seltener Gast. So wirken normative Erwartungen zersetzend in zweierlei Richtungen. Werden sie enttäuscht, sind sie ein Quell für allerlei Frust, fühlt man sie hingegen auf sich lasten, erschweren sie das "Marschgepäck". Das kann jeder leicht ermessen, dem die Bürde obliegt, den dreizehnten Punkt legen zu sollen.
Rein rational betrachtet, ist die Sache vollkommen klar: Zu einer professionellen Spielweise taugen allein antizipatorische Erwartungen. Das Pflegen von Leistungsdünkeln verträgt sich nicht mit gutem Kämpfen. Hierzu hat nämlich der wache Sinn sich vordringlich mit der Überwindung der sich offenbarenden Schwierigkeiten befassen. Ein professioneller Spieler stellt keine Kodizes auf, sondern kalkuliert Wahrscheinlichkeiten, mit denen er das Künftige strukturiert. Das gilt für Umstände, eigene und gegnerische Leistungen[1] und ganz besonders für die Leistungen der Mitspieler. Ein überraschendes Scheitern ist höchstens eine Fehlkalkulation, niemals aber ein Affront, der zu sanktionieren wäre - und sei es nur durch beleidigtes Schmollen.
Und dennoch ist da dieser teuflische Sog hin zur Normierung. Eine berechtigte Hoffnung trennt eben nur ein schmaler Grat vom erhobenen Anspruch. Abhilfe kann nur die Schärfung der Sensibilität schaffen. Auch wenn Ehrgeiz und Erfahrung die Erfüllung bestimmter Leistungsnormen einfordern, muss der Verstand Einhalt gebieten. Es gibt in einem Spiel kaum einen sinnvollen Weg, Normen durchzusetzen. Versuche führen meist zu einer Verschlimmerung der Lage. Natürlich können aufrüttelnde Worte ein Weckruf sein, der noch Kräfte freisetzt - die berühmte Kabinenansprache eben - darüber hinaus muss jedoch klar sein: Man kann nichts erzwingen. Ein Spiel ist eben darum ein Spiel, weil sein Ausgang offen- und seine Entwicklung nicht vorhersehbar ist. Der Versuch, diese Unsicherheit zu beherrschen, darf nicht zu dem Glauben verleiten, sie abschaffen zu können.
Thorsten
Ergänzung I: In diesem Artikel wurden überwiegend normative Erwartungen thematisiert. Antizipatorische Erwartungen werden in folgendem Artikel behandelt: "Zyklische Leistungsschwankugen"
Ergänzung II: Der Stoiker Epiktet schrieb in seinem "Handbüchlein der Moral": "Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen." Wenn wir unglücklich über eine Niederlage sind, so doch gewiss nur deshalb, weil wir den Sieg erwartet hatten und diese Erwartung nun enttäuscht worden ist. Wenn wir uns ärgern, dass unsere Würfe misslingen, dann darum, weil wir von uns selbst ein besseres Spielen erwarten. Was aber hilft das ärgern? Was nutzt das laute Schimpfen und Hadern, das Klagen, in das wir in solchen Fällen regelmäßig verfallen? Nichts! Es schadet uns, weil es unseren Geist mit Sinnlosem anfüllt. Es lenkt uns ab, wo wir vielleicht noch nach einem Ausweg suchen könnten. Es nimmt uns die Chance, wenigstens noch aus der Niederlage eine Lehre zu ziehen und sie so in einen künftigen Sieg umzumünzen. Stattdessen beklagen wir uns - bei wem eigentlich? Beim Schicksal vielleicht, dass sich doch ohnehin stets taub für Selbstmitleid zeigt. Lautes oder innerliches Klagen ist ein kindlicher Reflex der von mangelnder Souveränität zeugt. Epiktet meint: "Das Verhalten und das Kennzeichen des Ungebildeten ist, keinen Nutzen oder Schaden von sich selber zu erwarten, sondern alles von außen."
Statt selbst zu handeln, erwartet man Abhilfe von anderswo her. Wenn wir schon in einem Spiel etwas erwarten, dann sinnvollerweise das Gute wie das Schlechte gleichermaßen. Seien wir doch auf beides vorbereitet. Seien wir neugierig, welchen Weg das Schicksal diesmal einschlagen mag. Erfreuen wir uns an unserem erwachsenen Handeln und an unseren souveränen Entscheidungen, deren Folgen wir mit Würde tragen, komme was da wolle.
[1] Die Unterschreitung von Leistungsnormen, die man für sich selbst aufgestellt haben mag, führt bei so manchem zu chronischer Unzufriedenheit, beständigem Hadern und zu verbalen Selbstgeißelungen. Der Dialog mit sich selbst, das sogenannte "Sportler-Selbstgespräch", sollte aber zwingend positiv gehalten sein und konstruktiv ablaufen. Vor allem aber sollte es zivilisiert geführt werden. Hierzu existiert ein eigener Artikel: Selbstgespräche
Bemerkung: Dem Autoren dieser Zeilen gelingt es in seinen lichteren Momenten, sich von normativen Erwartungen zu befreien, was der Spielfreude förderlich ist. Gleichwohl glaubt er, nicht vollkommen fehlgeleitet zu sein, indem, einen minimalen Rest normativer Erwartungen beizubehalten, er sich bemüßigt fühlt. Diese beinhalten den Anspruch an die Mitspieler, es im Spiel nach besten Kräften zu versuchen, jedem die nötige Ruhe zu gewähren und wachen Sinnes an der Verbesserung des Spielvermögens zu feilen. Alles darüber Hinausgehende ist freilich von Übel.
Ergänzung: Mit dem Spezialfall der überzogenen und dadurch irrationalen, normativen Erwartungen an sich selbst beschäftigt sich der Artikel: Perfektionismus im Spiel
Bild: Schneefigur an einer Kanalbrücke bei Bortfeld
Öffentliche Bouleplätze:
Dienstag & Freitag:
Ab 18 Uhr
Samstag:
Ab 14 Uhr
Sonntag und Feiertage:
Ab 14 Uhr
Spielmöglichkeiten bei Vereinen:
Mittwoch: Ab 19 Uhr
TuRa Braunschweig Flutlicht vorhanden
Donnerstag: Ab 17.30 Uhr
Magnibouler (freies Training) Flutlicht vorhanden
Jeder kann mitmachen. Wir sind kein Verein.
Wer Boule als ein Spiel versteht, zu dem man sich öffentlich trifft, zwanglos und leidenschaftlich, frei von finanziellen Verpflichtungen und Leistungsdruck, aus Freude gespielt, bei dem die Gemeinschaft nicht zu kurz kommen darf, der wird bei uns Gleichgesinnte treffen.
- Tipps & Tricks - Strategie & Taktik -
- "Versagen unter Druck" NEU
- Der Artikel "Visualisieren im Pètanque" (ehemals "Der Mythos vom Zielen") wurde überarbeitet und bekam einen anderen Platz in der Gliederung. Insbesondere wurde darauf abgezielt, dass das Thema "Visualisierung", das inhärent bereits das Grundthema des Aufsatzes gewesen war, nun auch mit diesem Begriff angesprochen wird. Der Text wurde überarbeitet und es wurde auf Beziehungen zu später entstandenen Artikeln hingewiesen.
Boule, Geschichten und mehr...
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