Bangen und Klagen


Wem nichts mehr hilft, der muß nicht Gram verschwenden,

und wer das Schlimmste sah, die Hoffnung enden;

Unheil beklagen, das nicht mehr zu bessern,

heißt um so mehr das Unheil nur vergrößern.

Was nicht zu retten, laß dem falschen Glück,

und gib Geduld für Kränkung ihm zurück!

Zum Raube lächeln, heißt den Dieb bestehlen,

doch selbst beraubst du dich durch nutzlos Quälen.

 

William Shakespeare, Othello, Erster Aufzug, zweite Szene 


Durch Vernachlässigung verstimmt. Wie hier einen sauberen Ton treffen?
Durch Vernachlässigung verstimmt. Wie hier einen sauberen Ton treffen?

Der anerkannte Pétanque-Fachmann und Journalist Pierre Fieux stellt in seinem Buch: „Comment se forger un mental de Champion“ eine interessante Überlegung an: In einer durchschnittlichen Pétanquepartie, die etwa 90 Minuten dauern mag, und in der vielleicht 13 Aufnahmen gespielt werden, sind wir, sofern wir Triplette spielen, am Ende nur 26-mal in den Kreis getreten und haben nur 2 Minuten lang wirklich gespielt.

Was geschah eigentlich in den übrigen 88 Minuten? Ich glaube jeder, der einmal eine Partie in einem Turnier gespielt hat, weiß jedenfalls, dass man sich danach eben nicht so fühlt, als habe man die meiste Zeit nur herumgestanden und sich ausgeruht.

 

Bezeichnenderweise beschäftigt sich die Bouleliteratur überwiegend mit dem, was in den zwei Minuten der Aktivität geschieht und vernachlässigt die mentalen Prozesse, die in der übrigen Zeit ablaufen. Ist das aber sinnvoll? Gleichen wir, indem wir die Prioritäten so setzen, nicht einem Virtuosen, der all sein Mühen in die Verbesserung der Fingerfertigkeit investiert, sein Instrument aber vollkommen außer Acht lässt. Was, wenn es verstimmt ist?

Unser Geist ist sozusagen das Instrument, dem wir unser Spiel entlocken. Ist er gelöst und frei, so gelingt uns ein harmonisches Spielen von Leichtigkeit geprägt, bei dem sich unser Können voll entfalten mag. Ist das jedoch nicht der Fall, so bilden sich Blockaden im Köper und der Bewegungsfluss gerät ins Stocken. Das Spielen wird mühevoll und disharmonisch. Wir finden unser Instrument verstimmt vor und so lange das so bleibt, wird sich die Spielkunst, an der wir Jahr um Jahr gefeilt haben, nicht zeigen können.

 

Es ist von wesentlicher Bedeutung, uns während des Spiels - also überwiegend in der Zeit, in der wir vermeintlich „nichts tun“, eine Grundstimmung zu erhalten, die uns befähigt, die Aufgaben zu meistern, die sich uns stellen werden.

Was gefährdet diese gute Grundstimmung derer wir so dringend bedürfen?

Es sind zum einen Befürchtungen, es könne etwas „Schlimmes“ geschehen; zum anderen ist es das beständige Klagen, sofern sich Ungünstiges bereits ereignet hat. Beides trübt nicht nur unsere Gedanken, es trübt auch unsere Sinne; lässt uns erblinden für Möglichkeiten, die sich uns bieten; übertäubt unser Feingefühl; verschlingt die innere Ruhe; nagt an unserer Konzentration und zehrt an unserem Durchhaltewillen.

Oha, da braut sich etwas zusammen
Oha, da braut sich etwas zusammen

Bangen: In einer Partie, die man unbedingt gewinnen will, bilden sich leicht Gedanken, die etwa wie folgt aussehen: „Wir liegen eigentlich ganz gut „devant“, hoffentlich kommen die da nicht noch einmal vorbei.“ „Die haben alles durchgelegt, hoffentlich ziehen sie jetzt nicht noch zufällig das Schweinchen.“ "Wenn der jetzt trifft, haben sie drei Punkte liegen.“ „Bitte, bitte verlege die letzte Kugel auch noch.“ „Endlich haben wir mal eine Gute liegen, hoffentlich wird die jetzt nicht gleich getroffen.Man muss sich einmal vergegenwärtigen, dass solches Denken keinerlei Nutzen bringt, dagegen aber geeignet ist, einen immensen Schaden anzurichten.

Die Partie richtet sich niemals nach unseren Wünschen, die wir am Spielfeldrand hegen mögen. Das Schicksal achtet nicht auf unser Wollen und Wünschen. Indem wir aber solcherweise hoffen und bangen, vergiften wir geradezu unseren Geist. Indem wir so denken, nehmen wir nämlich eine Opferperspektive ein: Ein Opfer ist immer einer Willkür ausgeliefert; kann sich nicht wehren; bleibt passiv. Wollen wir das denn, dem Gegner ausgeliefert sein? Dann bleibt uns ja wirklich nur, wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange zu starren. Wird sie uns fressen? Jedenfalls finden wir so nicht zu der Grundstimmung, die uns befähigen soll, einen guten Kampf zu liefern.

Solange wir noch Kugeln zu spielen haben, werden wir niemals ausgeliefert sein, das sollten wir stets bedenken. Erst wenn die letzte Kugel gespielt ist, ist die Partie vorbei. Was wir tun müssen, ist handeln und, so wir gerade nicht handeln, uns die Fähigkeit dazu erhalten. Wenn wir eine Partie beginnen, wissen wir von vornherein, dass dem Gegner einiges gelingen wird – sei es nun aus Zufall oder Spielkompetenz, das spielt dabei keine Rolle. Wir treten an, um darauf die passenden Antworten zu geben. Wir wollen selbst zeigen, was wir können und nicht gewinnen, weil dem Kontrahenten alles misslingt. Vor allem aber wollen wir nicht darauf angewiesen sein, dass dem so sei, denn damit sprechen wir uns ja selbst die Kompetenz ab.

Wenn der Gegner spielt, sollten wir also geruhige davon ausgehen, es werde ihm sein Wurf schon glücken. Zumindest sollte es uns nicht weiter erschüttern, wenn es denn so kommt. Wir sollten uns innerlich wappnen, als Antwort eine Kugel besser zu legen oder die seine zu entfernen. Wir sollten uns geradezu darauf freuen, dass wir nun zeigen können, was in uns steckt. Niemals dem Gegner Unglück wünschen! Niemals auf glückliche Umstände hoffen. Niemals sich selbst zum Opfer machen! Niemals sich die Kompetenz absprechen! Niemals Bangen!

 

Mist, das war ungeschickt
Mist, das war ungeschickt

Klagen: In einer Partie werden uns immer wieder Würfe misslingen oder sie werden zumindest nicht so verlaufen, wie wir es uns idealerweise vorgestellt haben. Viele Spieler beginnen dann zu lamentieren: „Natürlich, die ist wieder versprungen.“ „Das habe ich mir gleich gedacht, dass ich die Letzte verlege."Das gibt es nicht, wir haben aber auch wirklich nur Pech.“Mist, ich treffe auch wirklich jeden Stein.“ Es ist nun eine Binsenweisheit, dass es wenig professionell ist, sich solcherweise zu äußern. Von den Großen des Pétanque hört man solche Sätze jedenfalls nicht. Sie ermutigen den Gegner und verunsichern das eigene Team. Was uns hier jedoch viel mehr interessiert ist, dass wir solches nicht einmal denken dürfen.

Das beständige Klagen - und sei es nur in Gedanken - zerstört nämlich die Souveränität, derer wir beim Handeln dringend bedürfen. Sich zu beklagen ist ein typisch kindliches Verhalten: Ein Missstand wird lauthals angeprangert, auf das die Eltern herbeieilen mögen, diesen abzustellen. Bei Erwachsenen ist das kindliche Klagen aber kindisch. Was geschieht denn wirklich? Wir haben erwartet, die Partie werde sich auf eine bestimmte Weise entwickeln. Nun tut sie es aber nicht. Bei wem wollen wir uns denn beklagen? Sind wir nicht selbst verantwortlich für unser Handeln? Vielleicht stimmte mit unseren Erwartungen etwas nicht? Vielleicht ist der Gegner besser als erwartet und wir schwächer. Wie dem auch sei. Von außen wird uns keine Hilfe zuteil werden. In einem Spiel gibt es keine Instanz, die für eine höhere Gerechtigkeit sorgen kann. Wenn wir Pech haben, dann ist es eben so und wir können nur warten, bis sich das Glück uns wieder zuwenden wird. Wir sollten uns keinesfalls durch beständiges Klagen eine Unselbständigkeit selbst einreden, noch vermeintlich notorisches Pech herbeifabulieren, um nicht die Verantwortung für Missgriffe übernehmen zu müssen. Wenn wir eine Partie beginnen, wissen wir von vornherein, dass sich Glückliches und weniger Glückliches ereignen mag; dass uns Dinge gelingen werden ebenso wie sie uns natürlich misslingen. Negatives klagend zu kommentieren, ist schlicht überflüssig. Es nimmt uns die Kraft, alles noch zum Guten zu wenden, es vergiftet unser Denken, es tötet die Zuversicht, es macht blind für kreative Lösungen. Es lässt die Spielfreude verdorren. Niemals klagen!

Notorisches Bangen und gewohnheitsmäßiges Klagen sind Automatismen, die sich vielleicht bereits über Jahre und Jahrzehnte eingeschliffen haben. Wir haben hier zwei Schräubchen, die mit der Zeit etwas locker geworden sind. Mit ihnen können wir unsere mentale Verfasstheit gut neu justieren. Sich des Bangens und Klagens zu enthalten, fällt vielleicht nicht leicht. Man muss es sich regelrecht verbieten und eventuell auch andere in sein Vorhaben einweihen, die nötigenfalls einmal dezent darauf hinweisen können, wenn ein Rückfall droht. Lohn der Mühe aber ist nicht nur ein besseres Spielen, sondern die Mehrung der Lebensfreude in jedem Bereich. 

 

Thorsten


Ergänzung I: In einem Artikel über das Denken Machiavellis habe ich zwei Zustände unterschieden, welche die Realität annehmen kann: Auf den einen haben wir uns Vorbereitet, wir haben Vorsorge getroffen und sind, obwohl die Dinge sich negativ entwickeln, nicht überrascht. Der andere Zustand stellt, obgleich wir vielleicht alles getan haben, was in unseren Kräften stand, immer eine Überraschung dar - ebenso wie er in gewisser Weise auch als Kränkung oder Ungerechtigkeit empfunden werden kann. Hier sind wir nun ganz auf uns selbst gestellt und müssen schnell das Richtige tun, um uns zu retten. Haben wir jedoch zuvor unsere geistigen Ressourcen mit Bangen aufgezehrt, oder befassen wir uns nun mit Klagen, ob des überraschenden Unheils, das uns trotz aller vermeintlicher Tüchtigkeit dennoch getroffen hat, so versäumen wir diesen einen goldenen Moment, in dem es uns noch gelingen kann, die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen. Solange sie noch auf uns zueilte, erkannten wir sie nicht, weil Befürchtungen uns ablenkten und während wir uns noch mit dem befassen, was war, ist sie schon geschwind vorübergeeilt, meist auf nimmer wiedersehen.

Siehe hierzu: "Vom Umgang mit wechselndem Glück

Ergänzung II: In dem Artikel: "Angst, Risiko, Chance" hatte ich aufgezeigt, dass Wettkampfangst auch mit der Sichtweise zusammenhängt, die man zu den Dingen einnimmt - und die man sich aneignen und trainieren kann, das sei an dieser Stelle hinzugefügt. Dieselbe Situation ist dem einen ein hohes Risiko, dem anderen eine große Chance. Der eine sucht sie zu meiden, ein anderer freut sich über die Gelegenheit. Wenn wir uns aber darüber im Klaren sind, dass wir spielen und dadurch einerseits der Willkür von Glück und Pech unterliegen, andererseits aber uns nichts wirklich Gravierendes zustoßen kann, dann können wir hierdurch auch erkennen, dass keine Notwendigkeit dazu besteht, uns in eine innere Stimmung zu versetzen, in der ein archaisches Überlebensprogramm aktiviert wird, in der Fluchtreflexe aufkommen, sich Muskeln verhärten, die Atmung sich beschleunigt und was dergleichen mehr Symptome der Furcht noch auftreten mögen. Wie alle anderen Bereiche des Spielens gilt es auch das Mentale zu trainieren. Wir müssen es erstreben, in einen Wettbewerb versehen mit der angemessenen inneren Verfasstheit einzutreten: konzentriert, grundsätzlich gelassen, in leichter Spannung, offen für alle Dinge, die sich ereignen mögen, ohne normative Erwartungen an sich und andere und vor allem neugierig

Ergänzung III: Der Film: "ALL IST LOST" (2013) zeigt Robert Redford in einem Seglerdrama, das nahezu ohne Worte auskommt. 106 Minuten lang beobachten wir den Protagonisten, wie er den Widrigkeiten stoisch trotzt, die sich ihm entgegenstellen. Trotz aller Bravour aber sind die Umstände gegen ihn. Trotz aller Kunst, aus dem Gegenwärtigen das Beste zu machen, verschlimmert sich die Lage des Seglers zusehends. Es ist die von Robert Redford gespielte innere Versammeltheit angesichts vielfältiger Gefahren; das sich Versagen von Verzweiflung; das abgeklärte Handeln im Angesicht unverschuldeten Unglücks, das von diesem Meisterwerk als starker Eindruck in Erinnerung bleibt. In dem Moment, da alles verloren scheint - und vielleicht auch ist - zieht der Segler sein Resümee: " Ich habe es versucht... ich habe gekämpft bis zum Schluss...". Ernest Hemingway schreibt in jenem anderen großen maritimen Drama: "Man is not made for defeat. A man can be destroyed, but not defeated." (THE OLD MAN AND THE SEA)


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