François de La Rochefoucauld[1] hat einmal gesagt, man müsse den Ruhm der Menschen an den Mitteln messen, derer sie sich bedient haben. In unser aller liebstem Spiel bedienen wir uns stählerner Kugeln, diesen zu erlangen. Meterweit werden sie geschleudert, mehr oder weniger brachial. Da muss es schon verwundern, wie häufig schließlich Millimeter darüber entscheiden, wem die Siegesgöttin den Lorbeer überreicht. Winzige Abstände entscheiden über den Spielverlauf, die zu erkennen zuweilen schwerfällt. Schnell sind dann die Gemüter erhitzt und können abgekühlt werden, einzig durch die kalte Dusche des unbezweifelbaren Beweises. Das Messen, ein Akt der Friedenswahrung. Doch rät der Weise: „Nichts zu sehr!“. Ist nicht Pedanterie die leidige Kunst, im Kleinen groß, im Großen aber klein zu sein?[2] Der Ruhm, er will erspielt sein, herbeigemessen werden kann er nicht.
Das Spiel verlangt von den Akteuren, nach jedem Wurf zu ermessen, welche Kugel sich dem Cochonnet am engsten beigesellt habe. Das festzustellen obliegt zuerst dem Team, das gerade am Zuge war und geschieht zumeist durch bloßen Augenschein. Erfahrene Spieler sind entscheidungssicher bis auf ein oder zwei Millimeter genau. Doch niemand ist unfehlbar. Bei solch kleinen Abständen tut man gut daran, gelegentlich das Augenmaß vom Maßband überprüfen zu lassen[3]. Hat nun also das letztaktive Team durch Blick oder Messung die Situation festgestellt und bekanntgemacht, liegt es sodann beim Gegner, dieses anzuerkennen oder zu bezweifeln, was unweigerlich zum Messen bzw. zum Nachmessen führt. Es misst also immer zuerst das Team, welches die letzte Kugel gespielt hat und dann erst dessen Gegner.
Es soll mit diesem Verfahren ein möglichst störungsfreies Spiel gewährleistet werden, denn leider geschieht es immer wieder, dass, sobald eine Kugel gespielt ist, sogleich jeder, der sich dazu bemüßigt fühlt, zur Untersuchung des Wurfergebnisses vorprescht und so Unruhe verbreitet. Solange das aktive Team das Wurfergebnis nicht kommuniziert hat, muss das passive Team auch passiv bleiben. Eine im Eifer des Gefechtes gelegentlich schwer durchzuhaltende und gleichwohl doch segensreiche Regelung.
Freilich wird in der Praxis nicht selten von dem hier beschriebenen Verfahren abgewichen. Es misst dann etwa der Jüngste – denn ein jüngerer Mitspieler ist bekanntlich das beste "Messinstrument". Oft ist auch der Einzige, der überhaupt ein Maßband mitführt, der anderen „Messdiener“. Doch ist im Reglement für solch selbstlose Menschen eine Falle aufgestellt: Verändert nämlich der Messende die Lage einer der zu messenden Kugeln oder verschiebt gar das Schweinchen, so wird dessen infrage stehende Kugel für diese Aufnahme inaktiv [4]. Das bedeutet, sie bleibt zwar an Ort und Stelle liegen, wird aber bei Wertung der Punkte nicht berücksichtigt. Für andere zu messen kann also gefährlich sein. Sehen wir uns das anhand von Beispielen einmal an:
Beispiel 1: Rot misst, um festzustellen, ob A oder B den Punkt hat. Dabei wird entweder das Schwein berührt oder eine der Kugeln A oder B und in der Lage verändert. Die Folge: Blau erhält einen Punkt. Sollten noch weitere Kugeln in der Aufnahme zu spielen sein, verbleibt die Kugel A zwar an ihrem Platz, gilt jedoch als inaktiv. Sie wird am Ende der Aufnahme nicht gewertet, kann also auch keine gegnerischen Kugeln abschneiden.
Das wird in Beispiel 2 deutlich: Hier fehlt Kugel C. Sonst geschieht alles wie in Beispiel 1, nur ist die Folge dramatischer. Blau erhielte nun ganze drei Punkte aufgrund des Missgeschicks beim Messen, denn Kugel A ist ja inaktiv geworden. Anmerkung: Man sollte in einem solchen Fall Sportsgeist zeigen und nur die Punkte in die Wertung nehmen, die wirklich fraglich waren; oder die Aufnahme neu ausspielen. Zwar könnte ein Spieler darauf beharren, die Punkte zu nehmen und hätte die Spielregeln auf seiner Seite. Gewänne er auch die Partie auf diese Weise, so verlöre er doch gleichzeitig sein Ansehen bei den Mitspielern. Was wohl schwerer wiegt?
Beispiel 3: Sind noch Kugeln zu spielen, so kann eine inaktive Kugel wieder aktiviert werden. In diesem Beispiel war A1 zunächst inaktiv geworden und wurde durch eine final von Blau gespielte Kugel, die unglücklich versprang, angespielt. Auf ihrer neuen Position ist A1 nun als A2 wieder aktiv und schneidet die Kugeln D und E ab. Ergebnis: Nur ein Punkt für Blau.[5]
In einem alten Schwarz-Weiß-Film[6] fährt eine überfüllte Straßenbahn durch Marseille und wird unvermittelt zum Anhalten gezwungen, weil eine Gruppe Boulespieler die Schienen blockiert. Alles hat – so das Selbstverständnis der spielenden Herren – gefälligst zu warten, weil gemessen werden muss, wer den Punkt hat. Eine Szene, die zur Ikone der Boulegemeinde geworden ist, tausendfach variiert und verbreitet.[7] Sie zeigt, was das Spiel im Kern ausmacht: Das Unwichtige wichtig nehmen, um das Leben einen Augenblick zum Stillstand kommen zu lassen. Das akribische Messen, knieend im Staub, vor der Kulisse theatralisch diskutierender Akteure, verbindet man ganz selbstverständlich mit dem Pétanque, fast mehr noch als das Werfen selbst. In der rechten Weise Gebrauch davon zu machen, angemessen, ehrlich und würdig, ist stete Herausforderung.
Thorsten
(Ich bedanke mich bei Sylvia, Dirk und Michael für Anregung
und kompetente Beratung zu diesem Artikel)
Ergänzung: Zwei Messweisen
Grundsätzlich existieren zwei verschiedene Messweisen: Bei der einen hält man eine Skala oder das Smartphone mit entsprechender App über die zu messende Strecke. Die Messung ist nur exakt, wenn sich das Auge vollkommen senkrecht über dem jeweiligen Messpunkt befindet, was bei Apps ausgeschlossen ist, da ja zwei Punkte gleichzeitig anzuvisieren sind. Bei der anderen Methode bringt man ein Messinstrument direkt zwischen Cochonnet und Kugel. Zwar steigt so die Gefahr, eines der beiden Objekte versehentlich zu berühren, doch ergeben sich auch Vorteile. Neben der Vermeidung optischer Verzerrungen ist es umstehenden Personen so besser möglich, die Richtigkeit des Messvorganges zu überprüfen. Zudem wird das Messen erleichtert, da die Lage der Kugeln nur in einer Minderzahl der Fälle ein milimetergenaues Messen verlangt. Mit dem einmal eingestellten Abstand können zudem beliebig viele Kugeln schnell überprüft werden.
Nebenstehend ist ein selbst gebautes Instrument abgebildet, das sich schon seit Jahren bewährt. Es ist dem professionellen Gliedermessstab nachempfunden, der als "Tirette" bezeichnet wird. Anders als bei diesem, ist hier jedoch das ausziehbare Element erheblich länger, was flexibles, schnelles und exaktes Messen erlaubt. Neben dem obligatorischen Gliedermaßstab benötigt man hierzu entweder eine Radioantenne oder einen ausziehbaren Kugelschreiber aus dem Schreibwarenladen.
[1] François VI. de La Rochefoucauld (* 15. September 1613; † 17. März 1680) war ein zeitweise politisch aktiver französischer Adeliger und Militär, der jedoch vor allem als Literat in die Geschichte eingegangen ist. Mit seinen aphoristischen Texten gilt er als Vertreter der französischen Moralisten.
In Bezug auf Messorgien, die bei allen Beteiligten nur Überdruss auslösen, scheinen mir noch zwei seiner Zitate erwähnenswert: "Ein kleiner Geist will nur glauben, was er sieht." und "Man kann schlauer sein als ein anderer, aber nicht schlauer als alle anderen."
[3] Es zeigt sich immer wieder, dass die Genauigkeit des Auges auch von der Tagesform abhängt. Ferner ist zu beobachten, dass mit der Häufigkeit der Versuche, die Situation einzuschätzen, auch das Vermögen zunimmt, diese so zu erkennen, wie sie tatsächlich ist.
[4] Ein Video erklärt recht anschaulich die Verfahrensweise. Die für das Messen relevanten Artikel 25 bis 31 aus dem offiziellen Reglement seien ergänzend zur Lektüre empfohlen.
[5] "Der Mann der das Schwein warf - Das etwas andere Boulebuch" - Reichert/Devant/Deutsch
S. 71ff
Bild: Maßband: OpenClipart-Vectors auf Pixabay
Öffentliche Bouleplätze:
Dienstag & Freitag:
Ab 18 Uhr
Samstag:
Ab 14 Uhr
Sonntag und Feiertage:
Ab 14 Uhr
Spielmöglichkeiten bei Vereinen:
Mittwoch: Ab 19 Uhr
TuRa Braunschweig Flutlicht vorhanden
Donnerstag: Ab 17.30 Uhr
Magnibouler (freies Training) Flutlicht vorhanden
Jeder kann mitmachen. Wir sind kein Verein.
Wer Boule als ein Spiel versteht, zu dem man sich öffentlich trifft, zwanglos und leidenschaftlich, frei von finanziellen Verpflichtungen und Leistungsdruck, aus Freude gespielt, bei dem die Gemeinschaft nicht zu kurz kommen darf, der wird bei uns Gleichgesinnte treffen.
- Tipps & Tricks - Strategie & Taktik -
- "Versagen unter Druck" NEU
- Der Artikel "Visualisieren im Pètanque" (ehemals "Der Mythos vom Zielen") wurde überarbeitet und bekam einen anderen Platz in der Gliederung. Insbesondere wurde darauf abgezielt, dass das Thema "Visualisierung", das inhärent bereits das Grundthema des Aufsatzes gewesen war, nun auch mit diesem Begriff angesprochen wird. Der Text wurde überarbeitet und es wurde auf Beziehungen zu später entstandenen Artikeln hingewiesen.
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